und aber die Seele nicht töden mögen. Son- dern fürchtet vielmehr den, der beyde, die See- le und den Leib, in der Hölle verderben mag. Diese Stelle enthält grosse Wahrheiten. Der Werth eines jeden Menschen, gekannt oder mißkannt, wird ein- mahl durch die schärfste Prüfung Gottes entschieden werden. Seine Grundtriebe, die geheimsten lichtrein- sten oder lichtscheuesten Absichten werden offenbar wer- den. -- Also hat sich kein Redlicher je zu fürchten. Er darf es auf den grossen Tag der Entscheidung ankom- men lassen. Tugend und Laster, Aufrichtigkeit und Falschheit werden einst neben einander gestellt, und durch den untrüglichen und unwiderruflichen Urtheilspruch der Wahrheit gewerthet und geschätzt werden. -- Auch wird jede geheime Lehre, die anfangs nicht getragen wer- den mogte, nach und nach jedermann und öffentlich ge- lehrt werden dürfen. Tausend Dinge werden izt auf allen Kanzeln gelehret, die Christus seinen Jüngern gleichsam nur ins Ohr sagen konnte. Die Apostel soll- ten Muth bekommen, alle, auch die widersprochensten Wahrheiten -- zu lehren. Sie hätten einen an der Seite, der unendlich furchtbarer und verehrenswerther sey, als alle, die sich der göttlichen Wahrheit widersez- ten. Den sollten sie vor dem Auge behalten; Gegen dem sey alle Macht ihrer Feinde Ohnmacht. -- Das thierische Leben könne ihnen von Menschen -- das gött- liche und unsterbliche nicht geraubt werden. Dies kön- ne der freye Geber der Unsterblichkeit den Feinden des Guten rauben. In dessen Hand stehe Unsterblichkeit
und
Matthäus X.
und aber die Seele nicht töden mögen. Son- dern fürchtet vielmehr den, der beyde, die See- le und den Leib, in der Hölle verderben mag. Dieſe Stelle enthält groſſe Wahrheiten. Der Werth eines jeden Menſchen, gekannt oder mißkannt, wird ein- mahl durch die ſchärfſte Prüfung Gottes entſchieden werden. Seine Grundtriebe, die geheimſten lichtrein- ſten oder lichtſcheueſten Abſichten werden offenbar wer- den. — Alſo hat ſich kein Redlicher je zu fürchten. Er darf es auf den groſſen Tag der Entſcheidung ankom- men laſſen. Tugend und Laſter, Aufrichtigkeit und Falſchheit werden einſt neben einander geſtellt, und durch den untrüglichen und unwiderruflichen Urtheilſpruch der Wahrheit gewerthet und geſchätzt werden. — Auch wird jede geheime Lehre, die anfangs nicht getragen wer- den mogte, nach und nach jedermann und öffentlich ge- lehrt werden dürfen. Tauſend Dinge werden izt auf allen Kanzeln gelehret, die Chriſtus ſeinen Jüngern gleichſam nur ins Ohr ſagen konnte. Die Apoſtel ſoll- ten Muth bekommen, alle, auch die widerſprochenſten Wahrheiten — zu lehren. Sie hätten einen an der Seite, der unendlich furchtbarer und verehrenswerther ſey, als alle, die ſich der göttlichen Wahrheit widerſez- ten. Den ſollten ſie vor dem Auge behalten; Gegen dem ſey alle Macht ihrer Feinde Ohnmacht. — Das thieriſche Leben könne ihnen von Menſchen — das gött- liche und unſterbliche nicht geraubt werden. Dies kön- ne der freye Geber der Unſterblichkeit den Feinden des Guten rauben. In deſſen Hand ſtehe Unſterblichkeit
und
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[130[150]/0158]
Matthäus X.
und aber die Seele nicht töden mögen. Son-
dern fürchtet vielmehr den, der beyde, die See-
le und den Leib, in der Hölle verderben mag.
Dieſe Stelle enthält groſſe Wahrheiten. Der Werth
eines jeden Menſchen, gekannt oder mißkannt, wird ein-
mahl durch die ſchärfſte Prüfung Gottes entſchieden
werden. Seine Grundtriebe, die geheimſten lichtrein-
ſten oder lichtſcheueſten Abſichten werden offenbar wer-
den. — Alſo hat ſich kein Redlicher je zu fürchten.
Er darf es auf den groſſen Tag der Entſcheidung ankom-
men laſſen. Tugend und Laſter, Aufrichtigkeit und
Falſchheit werden einſt neben einander geſtellt, und durch
den untrüglichen und unwiderruflichen Urtheilſpruch der
Wahrheit gewerthet und geſchätzt werden. — Auch
wird jede geheime Lehre, die anfangs nicht getragen wer-
den mogte, nach und nach jedermann und öffentlich ge-
lehrt werden dürfen. Tauſend Dinge werden izt auf
allen Kanzeln gelehret, die Chriſtus ſeinen Jüngern
gleichſam nur ins Ohr ſagen konnte. Die Apoſtel ſoll-
ten Muth bekommen, alle, auch die widerſprochenſten
Wahrheiten — zu lehren. Sie hätten einen an der
Seite, der unendlich furchtbarer und verehrenswerther
ſey, als alle, die ſich der göttlichen Wahrheit widerſez-
ten. Den ſollten ſie vor dem Auge behalten; Gegen
dem ſey alle Macht ihrer Feinde Ohnmacht. — Das
thieriſche Leben könne ihnen von Menſchen — das gött-
liche und unſterbliche nicht geraubt werden. Dies kön-
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Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 130[150]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/158>, abgerufen am 24.11.2024.
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