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Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783.

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Matthäus VIII.
stellt werden. Weniger Schärfe wäre Schwäche, und
des Meßias unwürdig gewesen. Und wenn nun Je-
sus
den Unglauben und Schwachglauben seiner Jünger
oft mit so scharfen Ausdrücken schalt; Wenn das der
Hauptpunkt war, der seinen Unwillen reitzen konnte --
So ist offenbar, daß es deswegen so seyn mußte, weil
dieser Unglauben Ihm gleichsam die Hände band ----
gleichsam die ganze Maschiene seiner Bemühungen still-
stellig machte. Sie, die Lehrer und Vorbilder des
Gränzenlosesten Glaubens zu seyn bestimmt waren --
täglich, sozusagen, im Brennpunkt der kräftigsten Erwe-
ckungen zum Glauben standen -- verdienten doch wohl
dann und wann einen weniger sanften Verweis, wenn
sie so gar weit zurück waren, daß alles, was sie so unmit-
telbar gesehen und gehört hatten, so ganz vergeblich zu
seyn schien. --

Alle andere hartscheinende Worte unsers Herrn sind
Scheide-Worte. Sie sollen trennen, scheiden, ent-
zweyschneiden -- Es sind schnell ergreiffende Arme, die
unsanft aus dem nahen, nahen Verderben zurück- und
heraus reissen. Wer wird es der stark anfassenden Hand,
die aus Fluthen und Flammen reissen will, verargen und
vorwerfen, daß sie, wenn sie retten wollte, und an-
ders nicht retten konnte, so und anders nicht anfasste?

Die andern harten Worte, die wir in den Evange-
lien finden, sind nicht dem Gottessohn' in Knechtsgestalt,
sondern dem Menschensohn' in Gottesgestalt, dem Rich-
ter, dem Entscheider des Schicksales der Unverbesserli-

chen

Matthäus VIII.
ſtellt werden. Weniger Schärfe wäre Schwäche, und
des Meßias unwürdig geweſen. Und wenn nun Je-
ſus
den Unglauben und Schwachglauben ſeiner Jünger
oft mit ſo ſcharfen Ausdrücken ſchalt; Wenn das der
Hauptpunkt war, der ſeinen Unwillen reitzen konnte —
So iſt offenbar, daß es deswegen ſo ſeyn mußte, weil
dieſer Unglauben Ihm gleichſam die Hände band ——
gleichſam die ganze Maſchiene ſeiner Bemühungen ſtill-
ſtellig machte. Sie, die Lehrer und Vorbilder des
Gränzenloſeſten Glaubens zu ſeyn beſtimmt waren —
täglich, ſozuſagen, im Brennpunkt der kräftigſten Erwe-
ckungen zum Glauben ſtanden — verdienten doch wohl
dann und wann einen weniger ſanften Verweis, wenn
ſie ſo gar weit zurück waren, daß alles, was ſie ſo unmit-
telbar geſehen und gehört hatten, ſo ganz vergeblich zu
ſeyn ſchien. —

Alle andere hartſcheinende Worte unſers Herrn ſind
Scheide-Worte. Sie ſollen trennen, ſcheiden, ent-
zweyſchneiden — Es ſind ſchnell ergreiffende Arme, die
unſanft aus dem nahen, nahen Verderben zurück- und
heraus reiſſen. Wer wird es der ſtark anfaſſenden Hand,
die aus Fluthen und Flammen reiſſen will, verargen und
vorwerfen, daß ſie, wenn ſie retten wollte, und an-
ders nicht retten konnte, ſo und anders nicht anfaſſte?

Die andern harten Worte, die wir in den Evange-
lien finden, ſind nicht dem Gottesſohn’ in Knechtsgeſtalt,
ſondern dem Menſchenſohn’ in Gottesgeſtalt, dem Rich-
ter, dem Entſcheider des Schickſales der Unverbeſſerli-

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[96[116]/0124] Matthäus VIII. ſtellt werden. Weniger Schärfe wäre Schwäche, und des Meßias unwürdig geweſen. Und wenn nun Je- ſus den Unglauben und Schwachglauben ſeiner Jünger oft mit ſo ſcharfen Ausdrücken ſchalt; Wenn das der Hauptpunkt war, der ſeinen Unwillen reitzen konnte — So iſt offenbar, daß es deswegen ſo ſeyn mußte, weil dieſer Unglauben Ihm gleichſam die Hände band —— gleichſam die ganze Maſchiene ſeiner Bemühungen ſtill- ſtellig machte. Sie, die Lehrer und Vorbilder des Gränzenloſeſten Glaubens zu ſeyn beſtimmt waren — täglich, ſozuſagen, im Brennpunkt der kräftigſten Erwe- ckungen zum Glauben ſtanden — verdienten doch wohl dann und wann einen weniger ſanften Verweis, wenn ſie ſo gar weit zurück waren, daß alles, was ſie ſo unmit- telbar geſehen und gehört hatten, ſo ganz vergeblich zu ſeyn ſchien. — Alle andere hartſcheinende Worte unſers Herrn ſind Scheide-Worte. Sie ſollen trennen, ſcheiden, ent- zweyſchneiden — Es ſind ſchnell ergreiffende Arme, die unſanft aus dem nahen, nahen Verderben zurück- und heraus reiſſen. Wer wird es der ſtark anfaſſenden Hand, die aus Fluthen und Flammen reiſſen will, verargen und vorwerfen, daß ſie, wenn ſie retten wollte, und an- ders nicht retten konnte, ſo und anders nicht anfaſſte? Die andern harten Worte, die wir in den Evange- lien finden, ſind nicht dem Gottesſohn’ in Knechtsgeſtalt, ſondern dem Menſchenſohn’ in Gottesgeſtalt, dem Rich- ter, dem Entſcheider des Schickſales der Unverbeſſerli- chen

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 96[116]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/124>, abgerufen am 22.11.2024.