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Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783.

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Harte Worte Jesus.
nur an des Herrn Stelle setzen. Zur Einen Seite die
verlohrnen Schaafe des Hauses Israels zerstreut, ohne
Hirten -- zur andern diese gegen alle Wahrheit verschloß-
nen Larven von Frömmigkeit, die kein Bedürfniß hatten
nach göttlicher Belehrung, und es nicht ertragen konn-
ten, wenn dies edle Bedürfniß sich in irgend einem Her-
zen zu regen ansieng -- und Jesus den König Israels
in Mitten dieser Heerdelosen Hirten und dieser Hirtenlo-
sen Heerden -- Jesus mit aller seiner reinen Einfalt
unempfunden. Jesus -- duldend wie ein Lamm, und
mächtig wirkend, wie die Gottheit Israels -- und alles
das ohne Wirkung, ohne Kraft! -- War etwas anders
möglich, als solche Vorwürfe, solche Demüthigungen
aus dem Munde deß, der gekommen war im Namen
Jehovah, Früchte von den Weingärtnern zu fordern.
Wie kann mit dem schlechterdings unverbesserlichen an-
ders geredet werden? Wie konnte der künftige Richter
der Welt mit solchen wahrhaft satanischen Charaktern
glimpflicher sprechen? Wie auch nur Miene machen, sol-
che geschworne Feinde der Wahrheit Huld und Erbarmen
von Ihm hoffen zu lassen? Da Er sie nicht bessern
konnte, was blieb Ihm übrig, als das Volk vor dieser
Schlangen-Bruth zu warnen? Ihnen die Larven vom
Gesichte zu reissen? Wer Einen Schritt Jesus näher
kam, dem gieng Er immer mit Huld entgegen -- Er
suchte das Verlohrne -- Aber wer Ihn und in Ihm
Gott, Wahrheit und ewiges Leben von sich stieß -- der
mußte, besonders, wenn er Lehrer und Hirt des Volks
war, als ein verderbliches, abscheuliches Wesen darge-

stellt

Harte Worte Jeſus.
nur an des Herrn Stelle ſetzen. Zur Einen Seite die
verlohrnen Schaafe des Hauſes Iſraels zerſtreut, ohne
Hirten — zur andern dieſe gegen alle Wahrheit verſchloß-
nen Larven von Frömmigkeit, die kein Bedürfniß hatten
nach göttlicher Belehrung, und es nicht ertragen konn-
ten, wenn dies edle Bedürfniß ſich in irgend einem Her-
zen zu regen anſieng — und Jeſus den König Iſraels
in Mitten dieſer Heerdeloſen Hirten und dieſer Hirtenlo-
ſen Heerden — Jeſus mit aller ſeiner reinen Einfalt
unempfunden. Jeſus — duldend wie ein Lamm, und
mächtig wirkend, wie die Gottheit Iſraels — und alles
das ohne Wirkung, ohne Kraft! — War etwas anders
möglich, als ſolche Vorwürfe, ſolche Demüthigungen
aus dem Munde deß, der gekommen war im Namen
Jehovah, Früchte von den Weingärtnern zu fordern.
Wie kann mit dem ſchlechterdings unverbeſſerlichen an-
ders geredet werden? Wie konnte der künftige Richter
der Welt mit ſolchen wahrhaft ſataniſchen Charaktern
glimpflicher ſprechen? Wie auch nur Miene machen, ſol-
che geſchworne Feinde der Wahrheit Huld und Erbarmen
von Ihm hoffen zu laſſen? Da Er ſie nicht beſſern
konnte, was blieb Ihm übrig, als das Volk vor dieſer
Schlangen-Bruth zu warnen? Ihnen die Larven vom
Geſichte zu reiſſen? Wer Einen Schritt Jeſus näher
kam, dem gieng Er immer mit Huld entgegen — Er
ſuchte das Verlohrne — Aber wer Ihn und in Ihm
Gott, Wahrheit und ewiges Leben von ſich ſtieß — der
mußte, beſonders, wenn er Lehrer und Hirt des Volks
war, als ein verderbliches, abſcheuliches Weſen darge-

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[95[115]/0123] Harte Worte Jeſus. nur an des Herrn Stelle ſetzen. Zur Einen Seite die verlohrnen Schaafe des Hauſes Iſraels zerſtreut, ohne Hirten — zur andern dieſe gegen alle Wahrheit verſchloß- nen Larven von Frömmigkeit, die kein Bedürfniß hatten nach göttlicher Belehrung, und es nicht ertragen konn- ten, wenn dies edle Bedürfniß ſich in irgend einem Her- zen zu regen anſieng — und Jeſus den König Iſraels in Mitten dieſer Heerdeloſen Hirten und dieſer Hirtenlo- ſen Heerden — Jeſus mit aller ſeiner reinen Einfalt unempfunden. Jeſus — duldend wie ein Lamm, und mächtig wirkend, wie die Gottheit Iſraels — und alles das ohne Wirkung, ohne Kraft! — War etwas anders möglich, als ſolche Vorwürfe, ſolche Demüthigungen aus dem Munde deß, der gekommen war im Namen Jehovah, Früchte von den Weingärtnern zu fordern. Wie kann mit dem ſchlechterdings unverbeſſerlichen an- ders geredet werden? Wie konnte der künftige Richter der Welt mit ſolchen wahrhaft ſataniſchen Charaktern glimpflicher ſprechen? Wie auch nur Miene machen, ſol- che geſchworne Feinde der Wahrheit Huld und Erbarmen von Ihm hoffen zu laſſen? Da Er ſie nicht beſſern konnte, was blieb Ihm übrig, als das Volk vor dieſer Schlangen-Bruth zu warnen? Ihnen die Larven vom Geſichte zu reiſſen? Wer Einen Schritt Jeſus näher kam, dem gieng Er immer mit Huld entgegen — Er ſuchte das Verlohrne — Aber wer Ihn und in Ihm Gott, Wahrheit und ewiges Leben von ſich ſtieß — der mußte, beſonders, wenn er Lehrer und Hirt des Volks war, als ein verderbliches, abſcheuliches Weſen darge- ſtellt

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 95[115]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/123>, abgerufen am 25.11.2024.