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Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783.

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Matthäus VIII.
selbst gewürdiget wirst, darf doch wohl was aufgeopfert
werden, was freylich, ohne einen solchen höhern Beruf,
deine natürliche Schuldigkeit wäre. --

Wer ist meine Mutter? Wer sind meine
Brüder?
So roh und hart dies scheint -- im Mun-
de des Sohnes, des Bruders, wenn Er weiter nichts,
als Sohn und Bruder wäre -- So natürlich ist's im
Munde des, der im Namen der Gottheit da steht, und
der will, daß alle mit seinen Verwandten in gleichen
Rechten stehen, die Gottes Willen zu dem ihrigen ma-
chen -- Es ist die Sprache der Wahrheit, der alle Welten
und Zeiten überschauenden Weisheit, die nicht will, daß
irgend ein Mensch anders geschätzt werde, als nach dem
einzig gültigen Gehalt seines Gehorsams gegen den
Willen des Vaters. Eben das, was Ihm, Christus,
sein einziges wahres Gehalt, seinen unnendlichen Werth
in den Augen der Gottheit gab, sollte einem jeden sei-
ner Jünger seinen wahren Werth geben -- Aehnlichkeit
mit Gott, die einzige wahre Verwandschaft mit Chri-
stus
-- der einzig ächte christliche Adel -- dem jedes
andere äusserliche zufällige Verhältniß, wie das der
leiblichen Mutterschaft und Brüderschaft weit nachste-
hen sollte. Und um wie viel weiser war dies hartschei-
nende Wort der Wahrheit, wenn Christus voraussa-
he, vorausahndete, daß künftige Jahrhunderte seiner
Mutter Ehren erzeigen würden, die niemand als der Gott-
heit und Ihm, dem ganz reinen Bilde der Gottheit ge.
bühren --

Wem die Worte, die Jesus so ofte den Pharisäern
gleichsam anwarf -- hart vorkommen, der darf sich

nur

Matthäus VIII.
ſelbſt gewürdiget wirſt, darf doch wohl was aufgeopfert
werden, was freylich, ohne einen ſolchen höhern Beruf,
deine natürliche Schuldigkeit wäre. —

Wer iſt meine Mutter? Wer ſind meine
Brüder?
So roh und hart dies ſcheint — im Mun-
de des Sohnes, des Bruders, wenn Er weiter nichts,
als Sohn und Bruder wäre — So natürlich iſt’s im
Munde des, der im Namen der Gottheit da ſteht, und
der will, daß alle mit ſeinen Verwandten in gleichen
Rechten ſtehen, die Gottes Willen zu dem ihrigen ma-
chen — Es iſt die Sprache der Wahrheit, der alle Welten
und Zeiten überſchauenden Weisheit, die nicht will, daß
irgend ein Menſch anders geſchätzt werde, als nach dem
einzig gültigen Gehalt ſeines Gehorſams gegen den
Willen des Vaters. Eben das, was Ihm, Chriſtus,
ſein einziges wahres Gehalt, ſeinen unnendlichen Werth
in den Augen der Gottheit gab, ſollte einem jeden ſei-
ner Jünger ſeinen wahren Werth geben — Aehnlichkeit
mit Gott, die einzige wahre Verwandſchaft mit Chri-
ſtus
— der einzig ächte chriſtliche Adel — dem jedes
andere äuſſerliche zufällige Verhältniß, wie das der
leiblichen Mutterſchaft und Brüderſchaft weit nachſte-
hen ſollte. Und um wie viel weiſer war dies hartſchei-
nende Wort der Wahrheit, wenn Chriſtus vorausſa-
he, vorausahndete, daß künftige Jahrhunderte ſeiner
Mutter Ehren erzeigen würden, die niemand als der Gott-
heit und Ihm, dem ganz reinen Bilde der Gottheit ge.
bühren —

Wem die Worte, die Jeſus ſo ofte den Phariſäern
gleichſam anwarf — hart vorkommen, der darf ſich

nur
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[94[114]/0122] Matthäus VIII. ſelbſt gewürdiget wirſt, darf doch wohl was aufgeopfert werden, was freylich, ohne einen ſolchen höhern Beruf, deine natürliche Schuldigkeit wäre. — Wer iſt meine Mutter? Wer ſind meine Brüder? So roh und hart dies ſcheint — im Mun- de des Sohnes, des Bruders, wenn Er weiter nichts, als Sohn und Bruder wäre — So natürlich iſt’s im Munde des, der im Namen der Gottheit da ſteht, und der will, daß alle mit ſeinen Verwandten in gleichen Rechten ſtehen, die Gottes Willen zu dem ihrigen ma- chen — Es iſt die Sprache der Wahrheit, der alle Welten und Zeiten überſchauenden Weisheit, die nicht will, daß irgend ein Menſch anders geſchätzt werde, als nach dem einzig gültigen Gehalt ſeines Gehorſams gegen den Willen des Vaters. Eben das, was Ihm, Chriſtus, ſein einziges wahres Gehalt, ſeinen unnendlichen Werth in den Augen der Gottheit gab, ſollte einem jeden ſei- ner Jünger ſeinen wahren Werth geben — Aehnlichkeit mit Gott, die einzige wahre Verwandſchaft mit Chri- ſtus — der einzig ächte chriſtliche Adel — dem jedes andere äuſſerliche zufällige Verhältniß, wie das der leiblichen Mutterſchaft und Brüderſchaft weit nachſte- hen ſollte. Und um wie viel weiſer war dies hartſchei- nende Wort der Wahrheit, wenn Chriſtus vorausſa- he, vorausahndete, daß künftige Jahrhunderte ſeiner Mutter Ehren erzeigen würden, die niemand als der Gott- heit und Ihm, dem ganz reinen Bilde der Gottheit ge. bühren — Wem die Worte, die Jeſus ſo ofte den Phariſäern gleichſam anwarf — hart vorkommen, der darf ſich nur

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 94[114]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/122>, abgerufen am 22.11.2024.