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Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 4,2. Leipzig, 1797.

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Folglich hat nicht nur die ganze Gesellschaft, son-
dern auch jedes einzelne Mitglied derselben die
Macht, zu fodern, daß die Gesetze aufs aller-
strengste befolgt werden.

Aber kein Mitglied, auch kein Theil der Ge-
sellschaft kann Gesetze machen, oder abschaffen:
und kein Gesetz gilt länger, als die ganze Gesell-
schaft damit zufrieden ist. Dieses Recht der Ge-
sellschaft, Gesetze zu machen, ist unveräußerlich,
und kann nimmermehr verjähren *): es giebt keine
Gewalt, die es rauben könnte, und jedes Volk
behält immer das Recht, es sich wieder zuzueignen,
oder zu revindiciren, wenn es ja verlohren und in
die Hände einzelner Personen gefallen ist. Kriege,
Ueberwindungen, Cessionen und andre Titel kön-
nen niemals einem Volke das Recht rauben, sich
nach eignen Gesetzen einzurichten und zu regieren.

Eine willkürliche Gewalt ist also in einem
kultivirten Staate ein Unding; und eine Nation,
die eine solche Gewalt leidet, ist entweder kein für
sich bestehender Staat, oder sie kennt ihre Rechte
nicht, und hat noch lange den Grad von Kultur
nicht erreicht, welchen jede menschliche Gesell-
schaft erreichen kann und erreichen soll.


*) Ex providentia majorum, wie man in jure pu-
blico
spricht.

Folglich hat nicht nur die ganze Geſellſchaft, ſon-
dern auch jedes einzelne Mitglied derſelben die
Macht, zu fodern, daß die Geſetze aufs aller-
ſtrengſte befolgt werden.

Aber kein Mitglied, auch kein Theil der Ge-
ſellſchaft kann Geſetze machen, oder abſchaffen:
und kein Geſetz gilt laͤnger, als die ganze Geſell-
ſchaft damit zufrieden iſt. Dieſes Recht der Ge-
ſellſchaft, Geſetze zu machen, iſt unveraͤußerlich,
und kann nimmermehr verjaͤhren *): es giebt keine
Gewalt, die es rauben koͤnnte, und jedes Volk
behaͤlt immer das Recht, es ſich wieder zuzueignen,
oder zu revindiciren, wenn es ja verlohren und in
die Haͤnde einzelner Perſonen gefallen iſt. Kriege,
Ueberwindungen, Ceſſionen und andre Titel koͤn-
nen niemals einem Volke das Recht rauben, ſich
nach eignen Geſetzen einzurichten und zu regieren.

Eine willkuͤrliche Gewalt iſt alſo in einem
kultivirten Staate ein Unding; und eine Nation,
die eine ſolche Gewalt leidet, iſt entweder kein fuͤr
ſich beſtehender Staat, oder ſie kennt ihre Rechte
nicht, und hat noch lange den Grad von Kultur
nicht erreicht, welchen jede menſchliche Geſell-
ſchaft erreichen kann und erreichen ſoll.


*) Ex providentia majorum, wie man in jure pu-
blico
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[85/0089] Folglich hat nicht nur die ganze Geſellſchaft, ſon- dern auch jedes einzelne Mitglied derſelben die Macht, zu fodern, daß die Geſetze aufs aller- ſtrengſte befolgt werden. Aber kein Mitglied, auch kein Theil der Ge- ſellſchaft kann Geſetze machen, oder abſchaffen: und kein Geſetz gilt laͤnger, als die ganze Geſell- ſchaft damit zufrieden iſt. Dieſes Recht der Ge- ſellſchaft, Geſetze zu machen, iſt unveraͤußerlich, und kann nimmermehr verjaͤhren *): es giebt keine Gewalt, die es rauben koͤnnte, und jedes Volk behaͤlt immer das Recht, es ſich wieder zuzueignen, oder zu revindiciren, wenn es ja verlohren und in die Haͤnde einzelner Perſonen gefallen iſt. Kriege, Ueberwindungen, Ceſſionen und andre Titel koͤn- nen niemals einem Volke das Recht rauben, ſich nach eignen Geſetzen einzurichten und zu regieren. Eine willkuͤrliche Gewalt iſt alſo in einem kultivirten Staate ein Unding; und eine Nation, die eine ſolche Gewalt leidet, iſt entweder kein fuͤr ſich beſtehender Staat, oder ſie kennt ihre Rechte nicht, und hat noch lange den Grad von Kultur nicht erreicht, welchen jede menſchliche Geſell- ſchaft erreichen kann und erreichen ſoll. *) Ex providentia majorum, wie man in jure pu- blico ſpricht.

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Zitationshilfe: Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 4,2. Leipzig, 1797, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben0402_1797/89>, abgerufen am 22.11.2024.