Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 4,2. Leipzig, 1797.größtentheils durchs Haus Oestreich, von dem kaum kennt er etwas von den Landesgesetzen, und noch we-
niger die Gründe derselben. Wie kann er also ein Vaterland lieben, wovon er nichts weiß? -- Er si[e]hts obendrein, er fühlts, daß man in allen Stücken sein Interesse von dem Interesse des Staates treunt; daß er höchstens das Werkzeug, und nicht selten das Schlachtopfer des Phantoms ist, das man Gemeinwohl nennt. Die Feh- den des Staats sind die seinen nicht; man frägt ihn nicht, ob er Krieg führen will oder nicht, ja, man sagt ihm sogar, daß der Krieg ihn nicht anginge. Allein man nimmt ihm zu diesem Kriege, der ihn nicht angeht, seinen Sohn, den man auf die Schlachtbank führt; man fodert von ihm für den Krieg, der ihn nichts angeht, Kriegssteuern; man quartiert bey ihm Soldaten ein, die sein Haus besetzen, sein Brod auf- essen und ihren Muthwillen an ihm auslassen. Der Feind rückt an: man untersagt ihm, die Waffen zu ergreifen und den Feind zuruckzuschlagen -- weil ihn der Krieg nichts angeht. Der Feind greift an, legt die Stadt in Asche, er dringt weiter; lebt auf Kosten der Bürger, mishandelt ihn, braucht gegen Weib und Tochter Gewalt, raubt, zerstöhrt, nimmt alles mit, und verwüstet, was er nicht wegschlep- pen kann." "Was ist also der Einwohner im Staate, wenn Ver- wüstung seiner Haabe, Hunger und Mangel, Mishandlung und Schändung ihn nichts angehn und er sich dieß alles geduldig gefallen lassen muß? Er ist nichts, als das bedaurenswurdige Werkzeug der Regierung die todte Masse, an welcher alle Bedrückungen verübt werden. Und doch soll er den Staat lieben? ihn Vaterland nennen?" -- "Aber ihr mögtet es nicht, ihr Fürsten, daß wahrer Patriotismus unter den Völkern entstünde: dazu kennt ihr groͤßtentheils durchs Haus Oeſtreich, von dem kaum kennt er etwas von den Landesgeſetzen, und noch we-
niger die Gründe derſelben. Wie kann er alſo ein Vaterland lieben, wovon er nichts weiß? — Er ſi[e]hts obendrein, er fühlts, daß man in allen Stücken ſein Intereſſe von dem Intereſſe des Staates treunt; daß er hoͤchſtens das Werkzeug, und nicht ſelten das Schlachtopfer des Phantoms iſt, das man Gemeinwohl nennt. Die Feh- den des Staats ſind die ſeinen nicht; man frägt ihn nicht, ob er Krieg führen will oder nicht, ja, man ſagt ihm ſogar, daß der Krieg ihn nicht anginge. Allein man nimmt ihm zu dieſem Kriege, der ihn nicht angeht, ſeinen Sohn, den man auf die Schlachtbank führt; man fodert von ihm für den Krieg, der ihn nichts angeht, Kriegsſteuern; man quartiert bey ihm Soldaten ein, die ſein Haus beſetzen, ſein Brod auf- eſſen und ihren Muthwillen an ihm auslaſſen. Der Feind rückt an: man unterſagt ihm, die Waffen zu ergreifen und den Feind zuruckzuſchlagen — weil ihn der Krieg nichts angeht. Der Feind greift an, legt die Stadt in Aſche, er dringt weiter; lebt auf Koſten der Bürger, mishandelt ihn, braucht gegen Weib und Tochter Gewalt, raubt, zerſtoͤhrt, nimmt alles mit, und verwüſtet, was er nicht wegſchlep- pen kann.“ „Was iſt alſo der Einwohner im Staate, wenn Ver- wüſtung ſeiner Haabe, Hunger und Mangel, Mishandlung und Schändung ihn nichts angehn und er ſich dieß alles geduldig gefallen laſſen muß? Er iſt nichts, als das bedaurenswurdige Werkzeug der Regierung die todte Maſſe, an welcher alle Bedrückungen verübt werden. Und doch ſoll er den Staat lieben? ihn Vaterland nennen?“ — „Aber ihr moͤgtet es nicht, ihr Fürſten, daß wahrer Patriotismus unter den Voͤlkern entſtünde: dazu kennt ihr <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0206" n="202"/> groͤßtentheils durchs Haus Oeſtreich, von dem<lb/> Mangel eines Oberhaupts, oder einer legalen<lb/> Kraft zur Aufrechthaltung der Staatsordnung im<lb/> deutſchen Reiche; von der Schwaͤche und den<lb/> Maͤngeln der Reichsgerichte und der Reichsgrund-<lb/> geſetze, von den aͤußerſt nachtheiligen Folgen der<lb/><note prev="#note-0205" xml:id="note-0206" next="#note-0207" place="foot" n="*)"><p>kaum kennt er etwas von den Landesgeſetzen, und noch we-<lb/> niger die Gründe derſelben. Wie kann er alſo ein Vaterland<lb/> lieben, wovon er nichts weiß? —</p><lb/><p>Er ſi<supplied>e</supplied>hts obendrein, er fühlts, daß man in allen Stücken<lb/> ſein Intereſſe von dem Intereſſe des Staates treunt; daß er<lb/> hoͤchſtens das Werkzeug, und nicht ſelten das Schlachtopfer<lb/> des Phantoms iſt, das man Gemeinwohl nennt. Die Feh-<lb/> den des Staats ſind die ſeinen nicht; man frägt ihn nicht,<lb/> ob er Krieg führen will oder nicht, ja, man ſagt ihm ſogar,<lb/> daß der Krieg ihn nicht anginge. Allein man nimmt ihm zu<lb/> dieſem Kriege, der ihn nicht angeht, ſeinen Sohn, den man<lb/> auf die Schlachtbank führt; man fodert von ihm für den Krieg,<lb/> der ihn nichts angeht, Kriegsſteuern; man quartiert bey<lb/> ihm Soldaten ein, die ſein Haus beſetzen, ſein Brod auf-<lb/> eſſen und ihren Muthwillen an ihm auslaſſen. Der Feind<lb/> rückt an: man unterſagt ihm, die Waffen zu ergreifen und<lb/> den Feind zuruckzuſchlagen — weil ihn der Krieg nichts<lb/> angeht. Der Feind greift an, legt die Stadt in Aſche, er<lb/> dringt weiter; lebt auf Koſten der Bürger, mishandelt ihn,<lb/> braucht gegen Weib und Tochter Gewalt, raubt, zerſtoͤhrt,<lb/> nimmt alles mit, und verwüſtet, was er nicht wegſchlep-<lb/> pen kann.“</p><lb/><p>„Was iſt alſo der Einwohner im Staate, wenn Ver-<lb/> wüſtung ſeiner Haabe, Hunger und Mangel, Mishandlung und<lb/> Schändung ihn nichts angehn und er ſich dieß alles geduldig<lb/> gefallen laſſen muß? Er iſt nichts, als das bedaurenswurdige<lb/> Werkzeug der Regierung die todte Maſſe, an welcher alle<lb/> Bedrückungen verübt werden. Und doch ſoll er den Staat<lb/> lieben? ihn Vaterland nennen?“ —</p><lb/><p>„Aber ihr moͤgtet es nicht, ihr Fürſten, daß wahrer<lb/> Patriotismus unter den Voͤlkern entſtünde: dazu kennt ihr</p></note><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [202/0206]
groͤßtentheils durchs Haus Oeſtreich, von dem
Mangel eines Oberhaupts, oder einer legalen
Kraft zur Aufrechthaltung der Staatsordnung im
deutſchen Reiche; von der Schwaͤche und den
Maͤngeln der Reichsgerichte und der Reichsgrund-
geſetze, von den aͤußerſt nachtheiligen Folgen der
*)
*) kaum kennt er etwas von den Landesgeſetzen, und noch we-
niger die Gründe derſelben. Wie kann er alſo ein Vaterland
lieben, wovon er nichts weiß? —
Er ſiehts obendrein, er fühlts, daß man in allen Stücken
ſein Intereſſe von dem Intereſſe des Staates treunt; daß er
hoͤchſtens das Werkzeug, und nicht ſelten das Schlachtopfer
des Phantoms iſt, das man Gemeinwohl nennt. Die Feh-
den des Staats ſind die ſeinen nicht; man frägt ihn nicht,
ob er Krieg führen will oder nicht, ja, man ſagt ihm ſogar,
daß der Krieg ihn nicht anginge. Allein man nimmt ihm zu
dieſem Kriege, der ihn nicht angeht, ſeinen Sohn, den man
auf die Schlachtbank führt; man fodert von ihm für den Krieg,
der ihn nichts angeht, Kriegsſteuern; man quartiert bey
ihm Soldaten ein, die ſein Haus beſetzen, ſein Brod auf-
eſſen und ihren Muthwillen an ihm auslaſſen. Der Feind
rückt an: man unterſagt ihm, die Waffen zu ergreifen und
den Feind zuruckzuſchlagen — weil ihn der Krieg nichts
angeht. Der Feind greift an, legt die Stadt in Aſche, er
dringt weiter; lebt auf Koſten der Bürger, mishandelt ihn,
braucht gegen Weib und Tochter Gewalt, raubt, zerſtoͤhrt,
nimmt alles mit, und verwüſtet, was er nicht wegſchlep-
pen kann.“
„Was iſt alſo der Einwohner im Staate, wenn Ver-
wüſtung ſeiner Haabe, Hunger und Mangel, Mishandlung und
Schändung ihn nichts angehn und er ſich dieß alles geduldig
gefallen laſſen muß? Er iſt nichts, als das bedaurenswurdige
Werkzeug der Regierung die todte Maſſe, an welcher alle
Bedrückungen verübt werden. Und doch ſoll er den Staat
lieben? ihn Vaterland nennen?“ —
„Aber ihr moͤgtet es nicht, ihr Fürſten, daß wahrer
Patriotismus unter den Voͤlkern entſtünde: dazu kennt ihr
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