Valence und Vienne, aber nicht über Greno- ble, wohin mein Paß nicht wies, den man genau befolgen muß, wenn man nicht als Vagabunde angehalten seyn will. Ich hatte größtentheils den reißend-laufenden Rhone zur Linken. Ich gab mich auf den Dörfern und in den kleinern Städten für einen Kriegsgefangnen aus, und hatte das Vergnügen zu sehen, daß alle Leute Mitleid mit mir hatten, und mir gern unentgeldlich Brod, Wein und Oliven in Menge mittheilten. Auf diese Art wollte ich, ohne jemals Noth zu leiden, durch ganz Frankreich ge- zogen seyn. Wenn ich irgend einmal, wegen der bösen Wege auf den Ort des Etapes nicht kommen konnte, so sprach ich den ersten besten Baner um ein Nachtquartier an, und kein einziger hat mir dieses versagt, vielmehr machte jeder sich eine Freude daraus, mich zu beherbergen und zu bewirthen. Be- sonders wohlthätig fand ich diejenigen, deren Kinder in der Armee dienten: sie meynten, daß sie ver- bunden wären, nothleidenden Ausländern beyzuste- hen, denn wer könnte wissen, ob nicht in eben dem Augenblick auch ihre Kinder der Hülfe bedürften.
Das war Sprache der Natur, die den Feind vergessen mach[t], sobald seine Lage auf den Men- schen in ihm hinweißt. Diese humane Sprache sollte man -- zumal zur Zeit des Krieges -- zum Beßten der unglücklichen Schlachtopfer desselben,
Valence und Vienne, aber nicht uͤber Greno- ble, wohin mein Paß nicht wies, den man genau befolgen muß, wenn man nicht als Vagabunde angehalten ſeyn will. Ich hatte groͤßtentheils den reißend-laufenden Rhone zur Linken. Ich gab mich auf den Doͤrfern und in den kleinern Staͤdten fuͤr einen Kriegsgefangnen aus, und hatte das Vergnuͤgen zu ſehen, daß alle Leute Mitleid mit mir hatten, und mir gern unentgeldlich Brod, Wein und Oliven in Menge mittheilten. Auf dieſe Art wollte ich, ohne jemals Noth zu leiden, durch ganz Frankreich ge- zogen ſeyn. Wenn ich irgend einmal, wegen der boͤſen Wege auf den Ort des Etapes nicht kommen konnte, ſo ſprach ich den erſten beſten Baner um ein Nachtquartier an, und kein einziger hat mir dieſes verſagt, vielmehr machte jeder ſich eine Freude daraus, mich zu beherbergen und zu bewirthen. Be- ſonders wohlthaͤtig fand ich diejenigen, deren Kinder in der Armee dienten: ſie meynten, daß ſie ver- bunden waͤren, nothleidenden Auslaͤndern beyzuſte- hen, denn wer koͤnnte wiſſen, ob nicht in eben dem Augenblick auch ihre Kinder der Huͤlfe beduͤrften.
Das war Sprache der Natur, die den Feind vergeſſen mach[t], ſobald ſeine Lage auf den Men- ſchen in ihm hinweißt. Dieſe humane Sprache ſollte man — zumal zur Zeit des Krieges — zum Beßten der ungluͤcklichen Schlachtopfer deſſelben,
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Valence und Vienne, aber nicht uͤber Greno-
ble, wohin mein Paß nicht wies, den man genau
befolgen muß, wenn man nicht als Vagabunde
angehalten ſeyn will. Ich hatte groͤßtentheils den
reißend-laufenden Rhone zur Linken. Ich gab mich
auf den Doͤrfern und in den kleinern Staͤdten fuͤr einen
Kriegsgefangnen aus, und hatte das Vergnuͤgen
zu ſehen, daß alle Leute Mitleid mit mir hatten,
und mir gern unentgeldlich Brod, Wein und Oliven in
Menge mittheilten. Auf dieſe Art wollte ich, ohne
jemals Noth zu leiden, durch ganz Frankreich ge-
zogen ſeyn. Wenn ich irgend einmal, wegen der
boͤſen Wege auf den Ort des Etapes nicht kommen
konnte, ſo ſprach ich den erſten beſten Baner um ein
Nachtquartier an, und kein einziger hat mir
dieſes verſagt, vielmehr machte jeder ſich eine Freude
daraus, mich zu beherbergen und zu bewirthen. Be-
ſonders wohlthaͤtig fand ich diejenigen, deren Kinder
in der Armee dienten: ſie meynten, daß ſie ver-
bunden waͤren, nothleidenden Auslaͤndern beyzuſte-
hen, denn wer koͤnnte wiſſen, ob nicht in eben dem
Augenblick auch ihre Kinder der Huͤlfe beduͤrften.
Das war Sprache der Natur, die den Feind
vergeſſen macht, ſobald ſeine Lage auf den Men-
ſchen in ihm hinweißt. Dieſe humane Sprache
ſollte man — zumal zur Zeit des Krieges — zum
Beßten der ungluͤcklichen Schlachtopfer deſſelben,
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Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 4,1. Leipzig, 1797, S. 421. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben0401_1797/425>, abgerufen am 22.11.2024.
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