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Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 4,1. Leipzig, 1797.

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Nebenmenschen, mit dem wir nicht im Kontrakt ste-
hen. Verstehst Du mich?

Ich: Also dürfte ich ja einen Menschen, mit dem
ich nicht im Kontrakt stehe, ermorden, bestehlen!

Landrin: Da haben wir's ja, das liebe Na-
turrecht, die schönen Zwangspflichten! -- Pflicht
besteht im thun müssen, nicht im Unterlassen müs-
sen. Unterscheide doch den ruhigen Zustand der
gesellschaftlichen Schuldigkeit von dem kriegerischen
Zustande der Nothwendigkeit des Nichtbeleidigens!
-- Sobald du etwas thun mußt, hast du eine
Pflicht zu erfüllen. Wenn man dir nun viel zu
thun giebt, so giebt man dir viele Pflichten. Dann
merkst du aber bald, daß du Manches thun mußt,
das du eigentlich nicht schuldig bist zu thun, das
heißt, du siehst ein, daß du Pflichten hast, die
keine sind. Diese übertrittst du leicht: denn dein
Gewissen macht dir keine Vorwürfe. Aber da du
es doch heimlich thun mußt, aus Furcht vor der
Strafe: so wirst du unaufrichtig, falsch und heuch-
lerisch im Reden und Handeln: und der Haupt-
schritt zur Immoralität ist gethan. Bisher hast
du blos die Stimme der Vernunft noch gehört,
und eben deswegen keine wahre Schuldigkeit ver-
nachläßiget: aber bald wirst du auch die Stimme
der Sophisterey und der Leidenschaft hören, und
wirkliche Laster begehen: denn du wirst Vernunft

Nebenmenſchen, mit dem wir nicht im Kontrakt ſte-
hen. Verſtehſt Du mich?

Ich: Alſo duͤrfte ich ja einen Menſchen, mit dem
ich nicht im Kontrakt ſtehe, ermorden, beſtehlen!

Landrin: Da haben wir's ja, das liebe Na-
turrecht, die ſchoͤnen Zwangspflichten! — Pflicht
beſteht im thun muͤſſen, nicht im Unterlaſſen muͤſ-
ſen. Unterſcheide doch den ruhigen Zuſtand der
geſellſchaftlichen Schuldigkeit von dem kriegeriſchen
Zuſtande der Nothwendigkeit des Nichtbeleidigens!
— Sobald du etwas thun mußt, haſt du eine
Pflicht zu erfuͤllen. Wenn man dir nun viel zu
thun giebt, ſo giebt man dir viele Pflichten. Dann
merkſt du aber bald, daß du Manches thun mußt,
das du eigentlich nicht ſchuldig biſt zu thun, das
heißt, du ſiehſt ein, daß du Pflichten haſt, die
keine ſind. Dieſe uͤbertrittſt du leicht: denn dein
Gewiſſen macht dir keine Vorwuͤrfe. Aber da du
es doch heimlich thun mußt, aus Furcht vor der
Strafe: ſo wirſt du unaufrichtig, falſch und heuch-
leriſch im Reden und Handeln: und der Haupt-
ſchritt zur Immoralitaͤt iſt gethan. Bisher haſt
du blos die Stimme der Vernunft noch gehoͤrt,
und eben deswegen keine wahre Schuldigkeit ver-
nachlaͤßiget: aber bald wirſt du auch die Stimme
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[326/0330] Nebenmenſchen, mit dem wir nicht im Kontrakt ſte- hen. Verſtehſt Du mich? Ich: Alſo duͤrfte ich ja einen Menſchen, mit dem ich nicht im Kontrakt ſtehe, ermorden, beſtehlen! Landrin: Da haben wir's ja, das liebe Na- turrecht, die ſchoͤnen Zwangspflichten! — Pflicht beſteht im thun muͤſſen, nicht im Unterlaſſen muͤſ- ſen. Unterſcheide doch den ruhigen Zuſtand der geſellſchaftlichen Schuldigkeit von dem kriegeriſchen Zuſtande der Nothwendigkeit des Nichtbeleidigens! — Sobald du etwas thun mußt, haſt du eine Pflicht zu erfuͤllen. Wenn man dir nun viel zu thun giebt, ſo giebt man dir viele Pflichten. Dann merkſt du aber bald, daß du Manches thun mußt, das du eigentlich nicht ſchuldig biſt zu thun, das heißt, du ſiehſt ein, daß du Pflichten haſt, die keine ſind. Dieſe uͤbertrittſt du leicht: denn dein Gewiſſen macht dir keine Vorwuͤrfe. Aber da du es doch heimlich thun mußt, aus Furcht vor der Strafe: ſo wirſt du unaufrichtig, falſch und heuch- leriſch im Reden und Handeln: und der Haupt- ſchritt zur Immoralitaͤt iſt gethan. Bisher haſt du blos die Stimme der Vernunft noch gehoͤrt, und eben deswegen keine wahre Schuldigkeit ver- nachlaͤßiget: aber bald wirſt du auch die Stimme der Sophiſterey und der Leidenſchaft hoͤren, und wirkliche Laſter begehen: denn du wirſt Vernunft

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Zitationshilfe: Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 4,1. Leipzig, 1797, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben0401_1797/330>, abgerufen am 22.11.2024.