mag sagen, was man will: er wollte Ordnung und strenge Ordnung, so wenig er auch selbst daran ge- wöhnt seyn mogte. Er wünschte das Gute aus voller Seele und ohne Eigennutz; aber seine Tem- peramentsfehler hinderten ihn an jener tiefen Sach- kenntniß, Weisheit und Beharrlichkeit, womit ein Mann von festem Charakter und von gereinigter Vernunft seine wohlüberdachten Plane durchzusetzen sucht.
Seinen Feinden fürchterlich, seinen Freunden gefährlich, sah er sich bald von den meisten ver- lassen, die ihm einst mit Leidenschaft anhingen. Er hatte aber immer dennoch sehr gute Seiten, und war ein Mann, der rathen und helfen konnte, wenn Noth und Verwirrung alles drängten. Mit etwas mehr Humanität und Mäßigung hätte ihn jedermann lieben und schätzen müssen. Mangel an Delikatesse, übelgeäußerte Eitelkeit, thörigtes Selbstvertrauen und wunderlicher Stolz haben seine schönsten Eigenschaften verdunkelt. Mir kam oft vor, als schwebte des unsterblichen Huttens Geist über ihn, aber er blieb sich nicht gleich, und Huttens Geist war troz seiner Rauheit bey wei- tem kindlicher. Doch den Unterschied machte viel- leicht nur die Zeit. Wenigstens hat man in Schneiders Augen Thränen gesehen, die des größten Mannes würdig gewesen wären.
mag ſagen, was man will: er wollte Ordnung und ſtrenge Ordnung, ſo wenig er auch ſelbſt daran ge- woͤhnt ſeyn mogte. Er wuͤnſchte das Gute aus voller Seele und ohne Eigennutz; aber ſeine Tem- peramentsfehler hinderten ihn an jener tiefen Sach- kenntniß, Weisheit und Beharrlichkeit, womit ein Mann von feſtem Charakter und von gereinigter Vernunft ſeine wohluͤberdachten Plane durchzuſetzen ſucht.
Seinen Feinden fuͤrchterlich, ſeinen Freunden gefaͤhrlich, ſah er ſich bald von den meiſten ver- laſſen, die ihm einſt mit Leidenſchaft anhingen. Er hatte aber immer dennoch ſehr gute Seiten, und war ein Mann, der rathen und helfen konnte, wenn Noth und Verwirrung alles draͤngten. Mit etwas mehr Humanitaͤt und Maͤßigung haͤtte ihn jedermann lieben und ſchaͤtzen muͤſſen. Mangel an Delikateſſe, uͤbelgeaͤußerte Eitelkeit, thoͤrigtes Selbſtvertrauen und wunderlicher Stolz haben ſeine ſchoͤnſten Eigenſchaften verdunkelt. Mir kam oft vor, als ſchwebte des unſterblichen Huttens Geiſt uͤber ihn, aber er blieb ſich nicht gleich, und Huttens Geiſt war troz ſeiner Rauheit bey wei- tem kindlicher. Doch den Unterſchied machte viel- leicht nur die Zeit. Wenigſtens hat man in Schneiders Augen Thraͤnen geſehen, die des groͤßten Mannes wuͤrdig geweſen waͤren.
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mag ſagen, was man will: er wollte Ordnung und
ſtrenge Ordnung, ſo wenig er auch ſelbſt daran ge-
woͤhnt ſeyn mogte. Er wuͤnſchte das Gute aus
voller Seele und ohne Eigennutz; aber ſeine Tem-
peramentsfehler hinderten ihn an jener tiefen Sach-
kenntniß, Weisheit und Beharrlichkeit, womit ein
Mann von feſtem Charakter und von gereinigter
Vernunft ſeine wohluͤberdachten Plane durchzuſetzen
ſucht.
Seinen Feinden fuͤrchterlich, ſeinen Freunden
gefaͤhrlich, ſah er ſich bald von den meiſten ver-
laſſen, die ihm einſt mit Leidenſchaft anhingen.
Er hatte aber immer dennoch ſehr gute Seiten,
und war ein Mann, der rathen und helfen konnte,
wenn Noth und Verwirrung alles draͤngten. Mit
etwas mehr Humanitaͤt und Maͤßigung haͤtte ihn
jedermann lieben und ſchaͤtzen muͤſſen. Mangel an
Delikateſſe, uͤbelgeaͤußerte Eitelkeit, thoͤrigtes
Selbſtvertrauen und wunderlicher Stolz haben ſeine
ſchoͤnſten Eigenſchaften verdunkelt. Mir kam oft
vor, als ſchwebte des unſterblichen Huttens
Geiſt uͤber ihn, aber er blieb ſich nicht gleich, und
Huttens Geiſt war troz ſeiner Rauheit bey wei-
tem kindlicher. Doch den Unterſchied machte viel-
leicht nur die Zeit. Wenigſtens hat man in
Schneiders Augen Thraͤnen geſehen, die des
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Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 4,1. Leipzig, 1797, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben0401_1797/206>, abgerufen am 23.11.2024.
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