Hr. Pölitz. Herzerhebend sind freylich solche Ver- suche immer; aber wohl leicht auch mehr idealisch, als historisch wahr.
Durch sie wird die Geschichte weiter nichts als eine Darstellung des minder kultivirten Menschen- geschlechts; und je weiter man in derselben zurück- geht, desto gothischer erscheint dieses. Es findet folglich keine andre Vergleichung der ältern Zeiten mit den neuern Statt, als die, welche sich von dem Geringern zum Größern machen läßt. Es fallen folglich alle analogischen Schlüsse weg, welche man von den alten Begebenheiten auf das machen kann, was unter unsern Augen vorgeht: denn wir sind mehr kultivirt, als man sonst war, haben mehr Gewandheit der Kräfte u. s. w. Allein eben die analogischen Schlüsse von alten Begebenheiten auf neuere sind die Philosophie der Geschichte, die wahre ächte historische Weisheit, und ohne sie ist die Ge- schichte ein bloßer Zeitvertreib, und dient dem Ken- ner blos zu kritischen Untersuchungen. Dieses scheint mir aus dem System des Condorcet und des Hn. Pölitz zu folgen: es macht die Geschichte und ihr genaueres Studium überflüßig, und zwingt den Geschichtsschreiber, nur für das Vergnügen sei- ner Leser zu sorgen. Kurz, die Begebenheiten wer- den einer allgemeinen Idee nachgemodelt, und er- halten eine wächserne Nase. --
Hr. Poͤlitz. Herzerhebend ſind freylich ſolche Ver- ſuche immer; aber wohl leicht auch mehr idealiſch, als hiſtoriſch wahr.
Durch ſie wird die Geſchichte weiter nichts als eine Darſtellung des minder kultivirten Menſchen- geſchlechts; und je weiter man in derſelben zuruͤck- geht, deſto gothiſcher erſcheint dieſes. Es findet folglich keine andre Vergleichung der aͤltern Zeiten mit den neuern Statt, als die, welche ſich von dem Geringern zum Groͤßern machen laͤßt. Es fallen folglich alle analogiſchen Schluͤſſe weg, welche man von den alten Begebenheiten auf das machen kann, was unter unſern Augen vorgeht: denn wir ſind mehr kultivirt, als man ſonſt war, haben mehr Gewandheit der Kraͤfte u. ſ. w. Allein eben die analogiſchen Schluͤſſe von alten Begebenheiten auf neuere ſind die Philoſophie der Geſchichte, die wahre aͤchte hiſtoriſche Weisheit, und ohne ſie iſt die Ge- ſchichte ein bloßer Zeitvertreib, und dient dem Ken- ner blos zu kritiſchen Unterſuchungen. Dieſes ſcheint mir aus dem Syſtem des Condorcet und des Hn. Poͤlitz zu folgen: es macht die Geſchichte und ihr genaueres Studium uͤberfluͤßig, und zwingt den Geſchichtsſchreiber, nur fuͤr das Vergnuͤgen ſei- ner Leſer zu ſorgen. Kurz, die Begebenheiten wer- den einer allgemeinen Idee nachgemodelt, und er- halten eine waͤchſerne Naſe. —
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Hr. Poͤlitz. Herzerhebend ſind freylich ſolche Ver-
ſuche immer; aber wohl leicht auch mehr idealiſch,
als hiſtoriſch wahr.
Durch ſie wird die Geſchichte weiter nichts als
eine Darſtellung des minder kultivirten Menſchen-
geſchlechts; und je weiter man in derſelben zuruͤck-
geht, deſto gothiſcher erſcheint dieſes. Es findet
folglich keine andre Vergleichung der aͤltern Zeiten
mit den neuern Statt, als die, welche ſich von dem
Geringern zum Groͤßern machen laͤßt. Es fallen
folglich alle analogiſchen Schluͤſſe weg, welche
man von den alten Begebenheiten auf das machen
kann, was unter unſern Augen vorgeht: denn wir
ſind mehr kultivirt, als man ſonſt war, haben mehr
Gewandheit der Kraͤfte u. ſ. w. Allein eben die
analogiſchen Schluͤſſe von alten Begebenheiten auf
neuere ſind die Philoſophie der Geſchichte, die wahre
aͤchte hiſtoriſche Weisheit, und ohne ſie iſt die Ge-
ſchichte ein bloßer Zeitvertreib, und dient dem Ken-
ner blos zu kritiſchen Unterſuchungen. Dieſes ſcheint
mir aus dem Syſtem des Condorcet und des
Hn. Poͤlitz zu folgen: es macht die Geſchichte
und ihr genaueres Studium uͤberfluͤßig, und zwingt
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Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 3. Leipzig, 1796, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben03_1796/328>, abgerufen am 22.11.2024.
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