Da ich sehr oft, beynahe täglich, nach Verdun geschickt wurde, so hatte ich Gelegenheit, auch für mich manches aus dem Magazine mitzunehmen. Oft habe ich meine Zeltbursche mit Schnapps und Wein versehen, und einmal habe ich sogar einen schönen neuen Offiziermantel mitgebracht: Ich ließ ihn einem Leutnant für 14 Thaler, obgleich die goldne Tresse darauf allein mehr werth war. Ich dachte, nimmst du ihn nicht, so nimmt ihn ein An- derer; und nach dieser Regel bestimmte ich damals manche individuelle Handlung.
Es ist überhaupt -- um noch einmal davon zu spre- chen -- im Kriege eine ganz eigne Sache um das Mein und Dein. Wenn man gewiß wüßte, daß der wahre Eigenthümer eines Dinges im Besitze des- selben bleiben würde, wenn man ihm dasselbe ließe, so wäre es oft ein Schuftstreich, es wegzunehmen. Aber da man gewiß voraussetzen kann, daß es doch Andern zu Theil wird, wenn wir es liegen lassen, so dächte ich, verliert die Handlung viel von ihrer Häßlichkeit. Und das ist im Kriege sehr oft der Fall. Ich weiß zwar, daß die Herren Moralisten dieß nicht werden gelten lassen: aber es käme auf eine Probe an, was selbst sie thun würden, wenn sie sich im Falle der Soldaten befänden! Wer indeß über eine Handlung urtheilen will, muß sich in die Lage des Handelnden versetzen: und wenn
Da ich ſehr oft, beynahe taͤglich, nach Verdun geſchickt wurde, ſo hatte ich Gelegenheit, auch fuͤr mich manches aus dem Magazine mitzunehmen. Oft habe ich meine Zeltburſche mit Schnapps und Wein verſehen, und einmal habe ich ſogar einen ſchoͤnen neuen Offiziermantel mitgebracht: Ich ließ ihn einem Leutnant fuͤr 14 Thaler, obgleich die goldne Treſſe darauf allein mehr werth war. Ich dachte, nimmſt du ihn nicht, ſo nimmt ihn ein An- derer; und nach dieſer Regel beſtimmte ich damals manche individuelle Handlung.
Es iſt uͤberhaupt — um noch einmal davon zu ſpre- chen — im Kriege eine ganz eigne Sache um das Mein und Dein. Wenn man gewiß wuͤßte, daß der wahre Eigenthuͤmer eines Dinges im Beſitze deſ- ſelben bleiben wuͤrde, wenn man ihm daſſelbe ließe, ſo waͤre es oft ein Schuftſtreich, es wegzunehmen. Aber da man gewiß vorausſetzen kann, daß es doch Andern zu Theil wird, wenn wir es liegen laſſen, ſo daͤchte ich, verliert die Handlung viel von ihrer Haͤßlichkeit. Und das iſt im Kriege ſehr oft der Fall. Ich weiß zwar, daß die Herren Moraliſten dieß nicht werden gelten laſſen: aber es kaͤme auf eine Probe an, was ſelbſt ſie thun wuͤrden, wenn ſie ſich im Falle der Soldaten befaͤnden! Wer indeß uͤber eine Handlung urtheilen will, muß ſich in die Lage des Handelnden verſetzen: und wenn
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0149"n="137"/><p>Da ich ſehr oft, beynahe taͤglich, nach Verdun<lb/>
geſchickt wurde, ſo hatte ich Gelegenheit, auch fuͤr<lb/>
mich manches aus dem Magazine mitzunehmen.<lb/>
Oft habe ich meine Zeltburſche mit Schnapps und<lb/>
Wein verſehen, und einmal habe ich ſogar einen<lb/>ſchoͤnen neuen Offiziermantel mitgebracht: Ich ließ<lb/>
ihn einem Leutnant fuͤr 14 Thaler, obgleich die<lb/>
goldne Treſſe darauf allein mehr werth war. Ich<lb/>
dachte, nimmſt du ihn nicht, ſo nimmt ihn ein An-<lb/>
derer; und nach dieſer Regel beſtimmte ich damals<lb/>
manche individuelle Handlung.</p><lb/><p>Es iſt uͤberhaupt — um noch einmal davon zu ſpre-<lb/>
chen — im Kriege eine ganz eigne Sache um das<lb/>
Mein und Dein. Wenn man gewiß wuͤßte, daß der<lb/>
wahre Eigenthuͤmer eines Dinges im Beſitze deſ-<lb/>ſelben bleiben wuͤrde, wenn man ihm daſſelbe ließe,<lb/>ſo waͤre es <hirendition="#g">oft</hi> ein Schuftſtreich, es wegzunehmen.<lb/>
Aber da man gewiß vorausſetzen kann, daß es doch<lb/>
Andern zu Theil wird, wenn wir es liegen laſſen,<lb/>ſo daͤchte ich, verliert die Handlung viel von ihrer<lb/>
Haͤßlichkeit. Und das iſt im Kriege ſehr oft der<lb/>
Fall. Ich weiß zwar, daß die Herren Moraliſten<lb/>
dieß nicht werden gelten laſſen: aber es kaͤme auf<lb/>
eine Probe an, was ſelbſt ſie thun wuͤrden, wenn<lb/>ſie ſich im Falle der Soldaten befaͤnden! Wer<lb/>
indeß uͤber eine Handlung urtheilen will, muß ſich<lb/>
in die Lage des Handelnden verſetzen: und wenn<lb/></p></div></body></text></TEI>
[137/0149]
Da ich ſehr oft, beynahe taͤglich, nach Verdun
geſchickt wurde, ſo hatte ich Gelegenheit, auch fuͤr
mich manches aus dem Magazine mitzunehmen.
Oft habe ich meine Zeltburſche mit Schnapps und
Wein verſehen, und einmal habe ich ſogar einen
ſchoͤnen neuen Offiziermantel mitgebracht: Ich ließ
ihn einem Leutnant fuͤr 14 Thaler, obgleich die
goldne Treſſe darauf allein mehr werth war. Ich
dachte, nimmſt du ihn nicht, ſo nimmt ihn ein An-
derer; und nach dieſer Regel beſtimmte ich damals
manche individuelle Handlung.
Es iſt uͤberhaupt — um noch einmal davon zu ſpre-
chen — im Kriege eine ganz eigne Sache um das
Mein und Dein. Wenn man gewiß wuͤßte, daß der
wahre Eigenthuͤmer eines Dinges im Beſitze deſ-
ſelben bleiben wuͤrde, wenn man ihm daſſelbe ließe,
ſo waͤre es oft ein Schuftſtreich, es wegzunehmen.
Aber da man gewiß vorausſetzen kann, daß es doch
Andern zu Theil wird, wenn wir es liegen laſſen,
ſo daͤchte ich, verliert die Handlung viel von ihrer
Haͤßlichkeit. Und das iſt im Kriege ſehr oft der
Fall. Ich weiß zwar, daß die Herren Moraliſten
dieß nicht werden gelten laſſen: aber es kaͤme auf
eine Probe an, was ſelbſt ſie thun wuͤrden, wenn
ſie ſich im Falle der Soldaten befaͤnden! Wer
indeß uͤber eine Handlung urtheilen will, muß ſich
in die Lage des Handelnden verſetzen: und wenn
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 3. Leipzig, 1796, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben03_1796/149>, abgerufen am 18.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.