Diese Sätze trug ich den Kindern vor. Ob sie selbige besser verstanden haben, als die abgeschmack- ten Lehren des Kompendiums, weiß ich nicht; aber das weiß ich, daß Herr Pastor Nebe entweder selbst, oder sonst ein Jemand, welcher die heiligen Anstalten vor Ketzerei schützen wollte, gehorcht hatte. Dann gleich einige Tage nachher citirte mich Herr Nebe und befragte mich in merklich rauhem Ton, über die Ketzereien, die ich mich erdreistet hätte, den Kindern zum Schaden ihrer Seelen vorzutragen. Sogleich erklärte er mir auch, daß ich des Tisches, den ich damals genoß, verlustig wäre. Nun war mirs freilich nicht so sehr um den Tisch zu thun, als um die Furcht, der Herr D. Semler möchte dies er- fahren und böse werden: denn als ich diesem to- leranten Manne meine freiern Meinungen in seinem Zwinger mittheilte, gab er mir den wei- sen Rath, ja auf dem Waisenhause nichts davon merken zu lassen. Daher lenkte ich jezt bei Herrn Nebe ein und versprach, meine Gedanken über Rechtfertigung und Verdienst Christi schriftlich auf- zusetzen und sie der Censur des hochwürdigen Herrn Pastors vorzulegen. Das that ich auch in lateinischer Sprache, aber so unbestimmt und so zweideutig, daß der arme Nebe gewiß selbst nicht wußte, was er aus meinem Aufsatz ma- chen sollte.
Dieſe Saͤtze trug ich den Kindern vor. Ob ſie ſelbige beſſer verſtanden haben, als die abgeſchmack- ten Lehren des Kompendiums, weiß ich nicht; aber das weiß ich, daß Herr Paſtor Nebe entweder ſelbſt, oder ſonſt ein Jemand, welcher die heiligen Anſtalten vor Ketzerei ſchuͤtzen wollte, gehorcht hatte. Dann gleich einige Tage nachher citirte mich Herr Nebe und befragte mich in merklich rauhem Ton, uͤber die Ketzereien, die ich mich erdreiſtet haͤtte, den Kindern zum Schaden ihrer Seelen vorzutragen. Sogleich erklaͤrte er mir auch, daß ich des Tiſches, den ich damals genoß, verluſtig waͤre. Nun war mirs freilich nicht ſo ſehr um den Tiſch zu thun, als um die Furcht, der Herr D. Semler moͤchte dies er- fahren und boͤſe werden: denn als ich dieſem to- leranten Manne meine freiern Meinungen in ſeinem Zwinger mittheilte, gab er mir den wei- ſen Rath, ja auf dem Waiſenhauſe nichts davon merken zu laſſen. Daher lenkte ich jezt bei Herrn Nebe ein und verſprach, meine Gedanken uͤber Rechtfertigung und Verdienſt Chriſti ſchriftlich auf- zuſetzen und ſie der Cenſur des hochwuͤrdigen Herrn Paſtors vorzulegen. Das that ich auch in lateiniſcher Sprache, aber ſo unbeſtimmt und ſo zweideutig, daß der arme Nebe gewiß ſelbſt nicht wußte, was er aus meinem Aufſatz ma- chen ſollte.
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Dieſe Saͤtze trug ich den Kindern vor. Ob ſie
ſelbige beſſer verſtanden haben, als die abgeſchmack-
ten Lehren des Kompendiums, weiß ich nicht; aber
das weiß ich, daß Herr Paſtor Nebe entweder
ſelbſt, oder ſonſt ein Jemand, welcher die heiligen
Anſtalten vor Ketzerei ſchuͤtzen wollte, gehorcht hatte.
Dann gleich einige Tage nachher citirte mich Herr
Nebe und befragte mich in merklich rauhem Ton,
uͤber die Ketzereien, die ich mich erdreiſtet haͤtte, den
Kindern zum Schaden ihrer Seelen vorzutragen.
Sogleich erklaͤrte er mir auch, daß ich des Tiſches,
den ich damals genoß, verluſtig waͤre. Nun war
mirs freilich nicht ſo ſehr um den Tiſch zu thun, als
um die Furcht, der Herr D. Semler moͤchte dies er-
fahren und boͤſe werden: denn als ich dieſem to-
leranten Manne meine freiern Meinungen in
ſeinem Zwinger mittheilte, gab er mir den wei-
ſen Rath, ja auf dem Waiſenhauſe nichts davon
merken zu laſſen. Daher lenkte ich jezt bei Herrn
Nebe ein und verſprach, meine Gedanken uͤber
Rechtfertigung und Verdienſt Chriſti ſchriftlich auf-
zuſetzen und ſie der Cenſur des hochwuͤrdigen
Herrn Paſtors vorzulegen. Das that ich auch
in lateiniſcher Sprache, aber ſo unbeſtimmt und
ſo zweideutig, daß der arme Nebe gewiß ſelbſt
nicht wußte, was er aus meinem Aufſatz ma-
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Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 2. Halle, 1792, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben02_1792/97>, abgerufen am 24.11.2024.
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