nämlich seit meines Aufenthalts in Giessen. Ich blieb daher von dieser Wissenschaft weg und bin bis- her immer davon weggeblieben. Ich bin nämlich der Meinung noch, daß Metaphysik der wahren Aufklärung stäts geschadet und fast niemals genuzt habe. Die transcendentellen Ideen lassen sich dre- hen wie man will. Man sehe nur eine Dogmatik an, die systematisch geschrieben ist, z. B. die eines Schuberts, Carpzovs, oder eines andern or- thodoxen Wolfischen Theologen; und man wird fin- den, daß, nachdem der Verfasser pur eitel Leibnitzi- sche metaphysische Axiomen und Theoremen zum Grunde gelegt hat, alle heilige Fratzen nach mathe- matischer Lehrart richtig demonstrirt sind. Da be- weißt man aus dem methaphysischen Grundsatze: majus et minus non variare speciem, daß alle Sünden in Absicht ihrer Moralität intensiv unend- lich groß sind. Dies leitet nun die Beschreibung ei- nes Erlösers ein, der Gott und Mensch in einer Person seyn müsse und was der Possen mehr sind. Diesen Schaden hat die liebe Metaphysik über 40 bis 50 Jahr angestellt, bis endlich freimüthige, helle Männer, ein Semler, Teller, Bahrdt und andere, theils durch die Geschichte, theils durch ge- meine Menschenphilosophie die stolzen Systeme nie- derrissen, und den Ungrund und das Abgeschmackte solcher überforschenden Demonstrationen der Welt
naͤmlich ſeit meines Aufenthalts in Gieſſen. Ich blieb daher von dieſer Wiſſenſchaft weg und bin bis- her immer davon weggeblieben. Ich bin naͤmlich der Meinung noch, daß Metaphyſik der wahren Aufklaͤrung ſtaͤts geſchadet und faſt niemals genuzt habe. Die tranſcendentellen Ideen laſſen ſich dre- hen wie man will. Man ſehe nur eine Dogmatik an, die ſyſtematiſch geſchrieben iſt, z. B. die eines Schuberts, Carpzovs, oder eines andern or- thodoxen Wolfiſchen Theologen; und man wird fin- den, daß, nachdem der Verfaſſer pur eitel Leibnitzi- ſche metaphyſiſche Axiomen und Theoremen zum Grunde gelegt hat, alle heilige Fratzen nach mathe- matiſcher Lehrart richtig demonſtrirt ſind. Da be- weißt man aus dem methaphyſiſchen Grundſatze: majus et minus non variare ſpeciem, daß alle Suͤnden in Abſicht ihrer Moralitaͤt intenſiv unend- lich groß ſind. Dies leitet nun die Beſchreibung ei- nes Erloͤſers ein, der Gott und Menſch in einer Perſon ſeyn muͤſſe und was der Poſſen mehr ſind. Dieſen Schaden hat die liebe Metaphyſik uͤber 40 bis 50 Jahr angeſtellt, bis endlich freimuͤthige, helle Maͤnner, ein Semler, Teller, Bahrdt und andere, theils durch die Geſchichte, theils durch ge- meine Menſchenphiloſophie die ſtolzen Syſteme nie- derriſſen, und den Ungrund und das Abgeſchmackte ſolcher uͤberforſchenden Demonſtrationen der Welt
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0075"n="73"/>
naͤmlich ſeit meines Aufenthalts in Gieſſen. Ich<lb/>
blieb daher von dieſer Wiſſenſchaft weg und bin bis-<lb/>
her immer davon weggeblieben. Ich bin naͤmlich<lb/>
der Meinung noch, daß Metaphyſik der wahren<lb/>
Aufklaͤrung ſtaͤts geſchadet und faſt niemals genuzt<lb/>
habe. Die tranſcendentellen Ideen laſſen ſich dre-<lb/>
hen wie man will. Man ſehe nur eine Dogmatik<lb/>
an, die ſyſtematiſch geſchrieben iſt, z. B. die eines<lb/><hirendition="#g">Schuberts</hi>, <hirendition="#g">Carpzovs</hi>, oder eines andern or-<lb/>
thodoxen Wolfiſchen Theologen; und man wird fin-<lb/>
den, daß, nachdem der Verfaſſer pur eitel Leibnitzi-<lb/>ſche metaphyſiſche Axiomen und Theoremen zum<lb/>
Grunde gelegt hat, alle heilige Fratzen nach mathe-<lb/>
matiſcher Lehrart richtig demonſtrirt ſind. Da be-<lb/>
weißt man aus dem methaphyſiſchen Grundſatze:<lb/><hirendition="#aq">majus et minus non variare ſpeciem,</hi> daß alle<lb/>
Suͤnden in Abſicht ihrer Moralitaͤt intenſiv unend-<lb/>
lich groß ſind. Dies leitet nun die Beſchreibung ei-<lb/>
nes Erloͤſers ein, der Gott und Menſch in einer<lb/>
Perſon ſeyn muͤſſe und was der Poſſen mehr ſind.<lb/>
Dieſen Schaden hat die liebe Metaphyſik uͤber 40<lb/>
bis 50 Jahr angeſtellt, bis endlich freimuͤthige, helle<lb/>
Maͤnner, ein <hirendition="#g">Semler</hi>, <hirendition="#g">Teller</hi>, <hirendition="#g">Bahrdt</hi> und<lb/>
andere, theils durch die Geſchichte, theils durch ge-<lb/>
meine Menſchenphiloſophie die ſtolzen Syſteme nie-<lb/>
derriſſen, und den Ungrund und das Abgeſchmackte<lb/>ſolcher uͤberforſchenden Demonſtrationen der Welt<lb/></p></div></body></text></TEI>
[73/0075]
naͤmlich ſeit meines Aufenthalts in Gieſſen. Ich
blieb daher von dieſer Wiſſenſchaft weg und bin bis-
her immer davon weggeblieben. Ich bin naͤmlich
der Meinung noch, daß Metaphyſik der wahren
Aufklaͤrung ſtaͤts geſchadet und faſt niemals genuzt
habe. Die tranſcendentellen Ideen laſſen ſich dre-
hen wie man will. Man ſehe nur eine Dogmatik
an, die ſyſtematiſch geſchrieben iſt, z. B. die eines
Schuberts, Carpzovs, oder eines andern or-
thodoxen Wolfiſchen Theologen; und man wird fin-
den, daß, nachdem der Verfaſſer pur eitel Leibnitzi-
ſche metaphyſiſche Axiomen und Theoremen zum
Grunde gelegt hat, alle heilige Fratzen nach mathe-
matiſcher Lehrart richtig demonſtrirt ſind. Da be-
weißt man aus dem methaphyſiſchen Grundſatze:
majus et minus non variare ſpeciem, daß alle
Suͤnden in Abſicht ihrer Moralitaͤt intenſiv unend-
lich groß ſind. Dies leitet nun die Beſchreibung ei-
nes Erloͤſers ein, der Gott und Menſch in einer
Perſon ſeyn muͤſſe und was der Poſſen mehr ſind.
Dieſen Schaden hat die liebe Metaphyſik uͤber 40
bis 50 Jahr angeſtellt, bis endlich freimuͤthige, helle
Maͤnner, ein Semler, Teller, Bahrdt und
andere, theils durch die Geſchichte, theils durch ge-
meine Menſchenphiloſophie die ſtolzen Syſteme nie-
derriſſen, und den Ungrund und das Abgeſchmackte
ſolcher uͤberforſchenden Demonſtrationen der Welt
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 2. Halle, 1792, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben02_1792/75>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.