kostet haben, ehe es ihm gelungen sey, nach gewissen- hafter, sorgfältiger Prüfung sich erst über den Ka- tholicismus und endlich gar über Alles, was höhere Offenbarung heißt, mit ruhiger Ueberzeugung weg- zusetzen. Bei dieser Denkungsart war es wohl un- vermeidlich, nicht hier und da durch freimüthigere Aeußerungen im Sprechen und Handeln den Ver- dacht und Haß seiner Ordens- und Glaubensgenossen sich zuzuziehen. Dies geschah vorzüglich die vier Jahre hindurch, die er als Professor der Philoso- phie im Franziskanerkloster zu Warendorf docirte. Der Erfolg davon war, daß man ihn bei den Fran- ziskanern zu Rittberg so lange gefänglich verwahrte, bis man ihn im dritten Jahre für todt erfroren sei- ner Gefangenschaft entließ. Drei Vierteljahre gin- gen hin, ehe er sich von den Folgen dieses Zustandes erholte. Kaum war er aber seiner Glieder wieder mächtig, so sann er auf Mittel, sich den geistlichen Cannibalen, samt allem, was Gewissens- und Kir- chenzwang heißt, auch auf Kosten seines Lebens, zu entziehen, und auf Gottes weiter Welt als freier Mensch zu bestehen. Er entwarf lange und vorsichtig, und es gelang ihm, 1783 aus dem Franziskanerklo- ster zu Hardenberg nach Schwelm in der Grafschaft Mark glücklich zu entwischen. Hier begab er sich unter Preußischen Schutz, fand an Herrn Pastor Spitzbarth einen zweiten Vater, und kam end-
koſtet haben, ehe es ihm gelungen ſey, nach gewiſſen- hafter, ſorgfaͤltiger Pruͤfung ſich erſt uͤber den Ka- tholicismus und endlich gar uͤber Alles, was hoͤhere Offenbarung heißt, mit ruhiger Ueberzeugung weg- zuſetzen. Bei dieſer Denkungsart war es wohl un- vermeidlich, nicht hier und da durch freimuͤthigere Aeußerungen im Sprechen und Handeln den Ver- dacht und Haß ſeiner Ordens- und Glaubensgenoſſen ſich zuzuziehen. Dies geſchah vorzuͤglich die vier Jahre hindurch, die er als Profeſſor der Philoſo- phie im Franziskanerkloſter zu Warendorf docirte. Der Erfolg davon war, daß man ihn bei den Fran- ziskanern zu Rittberg ſo lange gefaͤnglich verwahrte, bis man ihn im dritten Jahre fuͤr todt erfroren ſei- ner Gefangenſchaft entließ. Drei Vierteljahre gin- gen hin, ehe er ſich von den Folgen dieſes Zuſtandes erholte. Kaum war er aber ſeiner Glieder wieder maͤchtig, ſo ſann er auf Mittel, ſich den geiſtlichen Cannibalen, ſamt allem, was Gewiſſens- und Kir- chenzwang heißt, auch auf Koſten ſeines Lebens, zu entziehen, und auf Gottes weiter Welt als freier Menſch zu beſtehen. Er entwarf lange und vorſichtig, und es gelang ihm, 1783 aus dem Franziskanerklo- ſter zu Hardenberg nach Schwelm in der Grafſchaft Mark gluͤcklich zu entwiſchen. Hier begab er ſich unter Preußiſchen Schutz, fand an Herrn Paſtor Spitzbarth einen zweiten Vater, und kam end-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0377"n="373[375]"/>
koſtet haben, ehe es ihm gelungen ſey, nach gewiſſen-<lb/>
hafter, ſorgfaͤltiger Pruͤfung ſich erſt uͤber den Ka-<lb/>
tholicismus und endlich gar uͤber Alles, was hoͤhere<lb/>
Offenbarung heißt, mit ruhiger Ueberzeugung weg-<lb/>
zuſetzen. Bei dieſer Denkungsart war es wohl un-<lb/>
vermeidlich, nicht hier und da durch freimuͤthigere<lb/>
Aeußerungen im Sprechen und Handeln den Ver-<lb/>
dacht und Haß ſeiner Ordens- und Glaubensgenoſſen<lb/>ſich zuzuziehen. Dies geſchah vorzuͤglich die vier<lb/>
Jahre hindurch, die er als Profeſſor der Philoſo-<lb/>
phie im Franziskanerkloſter zu Warendorf docirte.<lb/>
Der Erfolg davon war, daß man ihn bei den Fran-<lb/>
ziskanern zu Rittberg ſo lange gefaͤnglich verwahrte,<lb/>
bis man ihn im dritten Jahre fuͤr todt erfroren ſei-<lb/>
ner Gefangenſchaft entließ. Drei Vierteljahre gin-<lb/>
gen hin, ehe er ſich von den Folgen dieſes Zuſtandes<lb/>
erholte. Kaum war er aber ſeiner Glieder wieder<lb/>
maͤchtig, ſo ſann er auf Mittel, ſich den geiſtlichen<lb/>
Cannibalen, ſamt allem, was Gewiſſens- und Kir-<lb/>
chenzwang heißt, auch auf Koſten ſeines Lebens, zu<lb/>
entziehen, und auf Gottes weiter Welt als freier<lb/>
Menſch zu beſtehen. Er entwarf lange und vorſichtig,<lb/>
und es gelang ihm, 1783 aus dem Franziskanerklo-<lb/>ſter zu Hardenberg nach Schwelm in der Grafſchaft<lb/>
Mark gluͤcklich zu entwiſchen. Hier begab er ſich<lb/>
unter Preußiſchen Schutz, fand an Herrn Paſtor<lb/><hirendition="#g">Spitzbarth</hi> einen zweiten Vater, und kam end-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[373[375]/0377]
koſtet haben, ehe es ihm gelungen ſey, nach gewiſſen-
hafter, ſorgfaͤltiger Pruͤfung ſich erſt uͤber den Ka-
tholicismus und endlich gar uͤber Alles, was hoͤhere
Offenbarung heißt, mit ruhiger Ueberzeugung weg-
zuſetzen. Bei dieſer Denkungsart war es wohl un-
vermeidlich, nicht hier und da durch freimuͤthigere
Aeußerungen im Sprechen und Handeln den Ver-
dacht und Haß ſeiner Ordens- und Glaubensgenoſſen
ſich zuzuziehen. Dies geſchah vorzuͤglich die vier
Jahre hindurch, die er als Profeſſor der Philoſo-
phie im Franziskanerkloſter zu Warendorf docirte.
Der Erfolg davon war, daß man ihn bei den Fran-
ziskanern zu Rittberg ſo lange gefaͤnglich verwahrte,
bis man ihn im dritten Jahre fuͤr todt erfroren ſei-
ner Gefangenſchaft entließ. Drei Vierteljahre gin-
gen hin, ehe er ſich von den Folgen dieſes Zuſtandes
erholte. Kaum war er aber ſeiner Glieder wieder
maͤchtig, ſo ſann er auf Mittel, ſich den geiſtlichen
Cannibalen, ſamt allem, was Gewiſſens- und Kir-
chenzwang heißt, auch auf Koſten ſeines Lebens, zu
entziehen, und auf Gottes weiter Welt als freier
Menſch zu beſtehen. Er entwarf lange und vorſichtig,
und es gelang ihm, 1783 aus dem Franziskanerklo-
ſter zu Hardenberg nach Schwelm in der Grafſchaft
Mark gluͤcklich zu entwiſchen. Hier begab er ſich
unter Preußiſchen Schutz, fand an Herrn Paſtor
Spitzbarth einen zweiten Vater, und kam end-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 2. Halle, 1792, S. 373[375]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben02_1792/377>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.