wenn ich zuweilen vorbeispazierte: allein um dem Arrest zu entgehen, sah ich mich doch oft genöthigt, mich in der Kirche pfahlweise hinzustellen: denn die Sitze sind schon vorher alle durch Bürger, Weiber, Mädchen, Nymphen u. dgl. in Beschlag genommen. Da ich nun einen unbezwinglichen Widerwillen gegen alle und jede Pfafferei in mir fühle, so glaubte ich mir keine bessere Genugthuung gegen diesen Zwang verschaffen zu können, als wenn ich meine Kirchzeit mit Bücherlesen hinbrachte: und gerade wählte ich zu diesem Behufe Bücher, welche ich zu Hause gewiß nie gelesen hätte. Um keinen zu ärgern, mag ich sie nicht einmal nennen: genug, sie waren höchst profan und schändlich. Die andere Art, mich gegen diesen Zwang schadlos zu halten, war, daß ich die nun und dann aufgefangen, oder mir von meinen Cameraden vorgerühmten Lehrsätze derb persiflirte, und von da auf Pfaffen und Pfaffenwesen in den bittersten Aus- drücken losfuhr. Auch habe ich bemerkt, daß dieser verbitterte Zustand meines Innern mich die lezte Zeit, wo ich oft Monate lang meine Neigung zum Trunke glücklich bezwungen hatte, gerade an diesem Tage hinriß, meinen geärgerten Muth durch ein Getränke nur noch mehr zu erhitzen, wodurch ich ihn zu küh- len dachte. -- Dies und die Erfahrung, daß gerade Italien und Frankreich die meisten und scharfsinnig- sten sogenannten Freigeister erzeugt haben, lehrt, wie
wenn ich zuweilen vorbeiſpazierte: allein um dem Arreſt zu entgehen, ſah ich mich doch oft genoͤthigt, mich in der Kirche pfahlweiſe hinzuſtellen: denn die Sitze ſind ſchon vorher alle durch Buͤrger, Weiber, Maͤdchen, Nymphen u. dgl. in Beſchlag genommen. Da ich nun einen unbezwinglichen Widerwillen gegen alle und jede Pfafferei in mir fuͤhle, ſo glaubte ich mir keine beſſere Genugthuung gegen dieſen Zwang verſchaffen zu koͤnnen, als wenn ich meine Kirchzeit mit Buͤcherleſen hinbrachte: und gerade waͤhlte ich zu dieſem Behufe Buͤcher, welche ich zu Hauſe gewiß nie geleſen haͤtte. Um keinen zu aͤrgern, mag ich ſie nicht einmal nennen: genug, ſie waren hoͤchſt profan und ſchaͤndlich. Die andere Art, mich gegen dieſen Zwang ſchadlos zu halten, war, daß ich die nun und dann aufgefangen, oder mir von meinen Cameraden vorgeruͤhmten Lehrſaͤtze derb perſiflirte, und von da auf Pfaffen und Pfaffenweſen in den bitterſten Aus- druͤcken losfuhr. Auch habe ich bemerkt, daß dieſer verbitterte Zuſtand meines Innern mich die lezte Zeit, wo ich oft Monate lang meine Neigung zum Trunke gluͤcklich bezwungen hatte, gerade an dieſem Tage hinriß, meinen geaͤrgerten Muth durch ein Getraͤnke nur noch mehr zu erhitzen, wodurch ich ihn zu kuͤh- len dachte. — Dies und die Erfahrung, daß gerade Italien und Frankreich die meiſten und ſcharfſinnig- ſten ſogenannten Freigeiſter erzeugt haben, lehrt, wie
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0372"n="368[370]"/>
wenn ich zuweilen vorbeiſpazierte: allein um dem<lb/>
Arreſt zu entgehen, ſah ich mich doch oft genoͤthigt,<lb/>
mich in der Kirche pfahlweiſe hinzuſtellen: denn die<lb/>
Sitze ſind ſchon vorher alle durch Buͤrger, Weiber,<lb/>
Maͤdchen, Nymphen u. dgl. in Beſchlag genommen.<lb/>
Da ich nun einen unbezwinglichen Widerwillen gegen<lb/>
alle und jede Pfafferei in mir fuͤhle, ſo glaubte ich<lb/>
mir keine beſſere Genugthuung gegen dieſen Zwang<lb/>
verſchaffen zu koͤnnen, als wenn ich meine Kirchzeit<lb/>
mit Buͤcherleſen hinbrachte: und gerade waͤhlte ich<lb/>
zu dieſem Behufe Buͤcher, welche ich zu Hauſe gewiß<lb/>
nie geleſen haͤtte. Um keinen zu aͤrgern, mag ich ſie<lb/>
nicht einmal nennen: genug, ſie waren hoͤchſt profan<lb/>
und ſchaͤndlich. Die andere Art, mich gegen dieſen<lb/>
Zwang ſchadlos zu halten, war, daß ich die nun und<lb/>
dann aufgefangen, oder mir von meinen Cameraden<lb/>
vorgeruͤhmten Lehrſaͤtze derb perſiflirte, und von da<lb/>
auf Pfaffen und Pfaffenweſen in den bitterſten Aus-<lb/>
druͤcken losfuhr. Auch habe ich bemerkt, daß dieſer<lb/>
verbitterte Zuſtand meines Innern mich die lezte Zeit,<lb/>
wo ich oft Monate lang meine Neigung zum Trunke<lb/>
gluͤcklich bezwungen hatte, gerade an dieſem Tage<lb/>
hinriß, meinen geaͤrgerten Muth durch ein Getraͤnke<lb/>
nur noch mehr zu erhitzen, wodurch ich ihn zu kuͤh-<lb/>
len dachte. — Dies und die Erfahrung, daß gerade<lb/>
Italien und Frankreich die meiſten und ſcharfſinnig-<lb/>ſten ſogenannten Freigeiſter erzeugt haben, lehrt, wie<lb/></p></div></body></text></TEI>
[368[370]/0372]
wenn ich zuweilen vorbeiſpazierte: allein um dem
Arreſt zu entgehen, ſah ich mich doch oft genoͤthigt,
mich in der Kirche pfahlweiſe hinzuſtellen: denn die
Sitze ſind ſchon vorher alle durch Buͤrger, Weiber,
Maͤdchen, Nymphen u. dgl. in Beſchlag genommen.
Da ich nun einen unbezwinglichen Widerwillen gegen
alle und jede Pfafferei in mir fuͤhle, ſo glaubte ich
mir keine beſſere Genugthuung gegen dieſen Zwang
verſchaffen zu koͤnnen, als wenn ich meine Kirchzeit
mit Buͤcherleſen hinbrachte: und gerade waͤhlte ich
zu dieſem Behufe Buͤcher, welche ich zu Hauſe gewiß
nie geleſen haͤtte. Um keinen zu aͤrgern, mag ich ſie
nicht einmal nennen: genug, ſie waren hoͤchſt profan
und ſchaͤndlich. Die andere Art, mich gegen dieſen
Zwang ſchadlos zu halten, war, daß ich die nun und
dann aufgefangen, oder mir von meinen Cameraden
vorgeruͤhmten Lehrſaͤtze derb perſiflirte, und von da
auf Pfaffen und Pfaffenweſen in den bitterſten Aus-
druͤcken losfuhr. Auch habe ich bemerkt, daß dieſer
verbitterte Zuſtand meines Innern mich die lezte Zeit,
wo ich oft Monate lang meine Neigung zum Trunke
gluͤcklich bezwungen hatte, gerade an dieſem Tage
hinriß, meinen geaͤrgerten Muth durch ein Getraͤnke
nur noch mehr zu erhitzen, wodurch ich ihn zu kuͤh-
len dachte. — Dies und die Erfahrung, daß gerade
Italien und Frankreich die meiſten und ſcharfſinnig-
ſten ſogenannten Freigeiſter erzeugt haben, lehrt, wie
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 2. Halle, 1792, S. 368[370]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben02_1792/372>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.