welcher sich mit ihren Grundsätzen vertraut macht, kann unmöglich verzweifeln. Denn was die Mora- listen, insbesondere die Pfaffen sagen: Selbstmord sey allemal Verzweiflung, ist mit der gnädigen Er- laubniß dieser Herren so wenig wahr, als er allemal Kleinmuth oder Verbrechen ist. Ich habe meine guten Gründe für diese Behauptung. Meine Leser werden daher nicht zürnen, wenn ich ihnen meine Gedanken so ganz trocken hinlege. Ich gehöre nicht zu denen, welche aus Heroismus, zur Ehre Gottes oder zum Preis der Tugend alles Unglück und alle Noth gern ertragen möchten. Würde ich meinen Zustand übermäßig elend fühlen, so würde ich ihn schon endigen. Alle Gründe und Beweise für die sogenannte allwaltende Vorsehung, wie diese von Leß, Hermes und Jerusalem beschrieben wird, haben mich niemals überführen können. Ich will gern jedem seinen Glauben in diesem Stück lassen, und es jedem gern gönnen, in dem Vertrauen auf die göttliche Vorsehung und Regierung der Welt sei- ne Beruhigung zu finden: aber mir muß man es auch lassen, daß ich mich auf eine gewisse fatale Ver- kettung der Dinge gründe, und dadurch mein Schick- sal mir erleichtere. Mein Fatalismus hebt die Freiheit nicht ganz auf, und ist daher unschädlich. Friedrich der Große, und sein scharfsinniger Commentator, Schulz in Gielsdorf, lehrten das
welcher ſich mit ihren Grundſaͤtzen vertraut macht, kann unmoͤglich verzweifeln. Denn was die Mora- liſten, insbeſondere die Pfaffen ſagen: Selbſtmord ſey allemal Verzweiflung, iſt mit der gnaͤdigen Er- laubniß dieſer Herren ſo wenig wahr, als er allemal Kleinmuth oder Verbrechen iſt. Ich habe meine guten Gruͤnde fuͤr dieſe Behauptung. Meine Leſer werden daher nicht zuͤrnen, wenn ich ihnen meine Gedanken ſo ganz trocken hinlege. Ich gehoͤre nicht zu denen, welche aus Heroismus, zur Ehre Gottes oder zum Preis der Tugend alles Ungluͤck und alle Noth gern ertragen moͤchten. Wuͤrde ich meinen Zuſtand uͤbermaͤßig elend fuͤhlen, ſo wuͤrde ich ihn ſchon endigen. Alle Gruͤnde und Beweiſe fuͤr die ſogenannte allwaltende Vorſehung, wie dieſe von Leß, Hermes und Jeruſalem beſchrieben wird, haben mich niemals uͤberfuͤhren koͤnnen. Ich will gern jedem ſeinen Glauben in dieſem Stuͤck laſſen, und es jedem gern goͤnnen, in dem Vertrauen auf die goͤttliche Vorſehung und Regierung der Welt ſei- ne Beruhigung zu finden: aber mir muß man es auch laſſen, daß ich mich auf eine gewiſſe fatale Ver- kettung der Dinge gruͤnde, und dadurch mein Schick- ſal mir erleichtere. Mein Fatalismus hebt die Freiheit nicht ganz auf, und iſt daher unſchaͤdlich. Friedrich der Große, und ſein ſcharfſinniger Commentator, Schulz in Gielsdorf, lehrten das
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[245[255]/0257]
welcher ſich mit ihren Grundſaͤtzen vertraut macht,
kann unmoͤglich verzweifeln. Denn was die Mora-
liſten, insbeſondere die Pfaffen ſagen: Selbſtmord
ſey allemal Verzweiflung, iſt mit der gnaͤdigen Er-
laubniß dieſer Herren ſo wenig wahr, als er allemal
Kleinmuth oder Verbrechen iſt. Ich habe meine
guten Gruͤnde fuͤr dieſe Behauptung. Meine Leſer
werden daher nicht zuͤrnen, wenn ich ihnen meine
Gedanken ſo ganz trocken hinlege. Ich gehoͤre nicht
zu denen, welche aus Heroismus, zur Ehre Gottes
oder zum Preis der Tugend alles Ungluͤck und alle
Noth gern ertragen moͤchten. Wuͤrde ich meinen
Zuſtand uͤbermaͤßig elend fuͤhlen, ſo wuͤrde ich ihn
ſchon endigen. Alle Gruͤnde und Beweiſe fuͤr die
ſogenannte allwaltende Vorſehung, wie dieſe von
Leß, Hermes und Jeruſalem beſchrieben wird,
haben mich niemals uͤberfuͤhren koͤnnen. Ich will
gern jedem ſeinen Glauben in dieſem Stuͤck laſſen,
und es jedem gern goͤnnen, in dem Vertrauen auf
die goͤttliche Vorſehung und Regierung der Welt ſei-
ne Beruhigung zu finden: aber mir muß man es
auch laſſen, daß ich mich auf eine gewiſſe fatale Ver-
kettung der Dinge gruͤnde, und dadurch mein Schick-
ſal mir erleichtere. Mein Fatalismus hebt die
Freiheit nicht ganz auf, und iſt daher unſchaͤdlich.
Friedrich der Große, und ſein ſcharfſinniger
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Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 2. Halle, 1792, S. 245[255]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben02_1792/257>, abgerufen am 24.11.2024.
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