und Semler waren darin einig, daß viele Fratzen im kirchlichen Systeme herrschten: Aber darüber hatten sie verschiedene Gedanken, wie diese Fratzen entstanden wären. Gruner leitete alles aus der Neuplatonischen Philosophie her, und brachte immer seine veteres Platonizantes an; Semler hinge- gen hatte seine Judaizantes, und so entstand bei ihren Unterredungen mancher Zwist. Einst war Gru- ner am Neujahrstage bei Semlern zu Tische gebeten: sie gingen, um Luft zu schöpfen, in den Garten, wo sich gleich ihr Zank erhob über Platonizantes und Judaizantes. Semler warf Grunern vor, daß es ihm an Einsicht in die ältere Kirchengeschichte fehlte, und dieser rächte sich, daß er Semlern sagte, er spräche und schrieb kein reines römisches Latein. Nachdem der Streit eine Zeitlang gewährt hat- te, gerieth Gruner dergestalt in Hitze, daß er davon lief, und noch auf der Straße überlaut Semlern des Starrsinns beschuldigte. Man schickte zu ihm, und ließ ihn bitten, zurück zu kommen; aber dazu war er diesen Tag nicht zu bewegen.
Der hallische Stadtpopanzz), der Mönch genannt, hat dem guten Semler auch zu schaffen
z) Der Pöbel in Halle ist, wie der Pöbel aller Orten, sehr abergläubisch. Er hat eine Menge Gespenster, glaubt an Hexereien, giebt sogar Karaktere von den
und Semler waren darin einig, daß viele Fratzen im kirchlichen Syſteme herrſchten: Aber daruͤber hatten ſie verſchiedene Gedanken, wie dieſe Fratzen entſtanden waͤren. Gruner leitete alles aus der Neuplatoniſchen Philoſophie her, und brachte immer ſeine veteres Platonizantes an; Semler hinge- gen hatte ſeine Judaizantes, und ſo entſtand bei ihren Unterredungen mancher Zwiſt. Einſt war Gru- ner am Neujahrstage bei Semlern zu Tiſche gebeten: ſie gingen, um Luft zu ſchoͤpfen, in den Garten, wo ſich gleich ihr Zank erhob uͤber Platonizantes und Judaizantes. Semler warf Grunern vor, daß es ihm an Einſicht in die aͤltere Kirchengeſchichte fehlte, und dieſer raͤchte ſich, daß er Semlern ſagte, er ſpraͤche und ſchrieb kein reines roͤmiſches Latein. Nachdem der Streit eine Zeitlang gewaͤhrt hat- te, gerieth Gruner dergeſtalt in Hitze, daß er davon lief, und noch auf der Straße uͤberlaut Semlern des Starrſinns beſchuldigte. Man ſchickte zu ihm, und ließ ihn bitten, zuruͤck zu kommen; aber dazu war er dieſen Tag nicht zu bewegen.
Der halliſche Stadtpopanzz), der Moͤnch genannt, hat dem guten Semler auch zu ſchaffen
z) Der Poͤbel in Halle iſt, wie der Poͤbel aller Orten, ſehr aberglaͤubiſch. Er hat eine Menge Geſpenſter, glaubt an Hexereien, giebt ſogar Karaktere von den
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0134"n="132"/>
und Semler waren darin einig, daß viele Fratzen<lb/>
im kirchlichen Syſteme herrſchten: Aber daruͤber<lb/>
hatten ſie verſchiedene Gedanken, wie dieſe Fratzen<lb/>
entſtanden waͤren. Gruner leitete alles aus der<lb/>
Neuplatoniſchen Philoſophie her, und brachte immer<lb/>ſeine <hirendition="#aq">veteres Platonizantes</hi> an; Semler hinge-<lb/>
gen hatte ſeine <hirendition="#aq">Judaizantes,</hi> und ſo entſtand bei<lb/>
ihren Unterredungen mancher Zwiſt. Einſt war Gru-<lb/>
ner am Neujahrstage bei Semlern zu Tiſche gebeten:<lb/>ſie gingen, um Luft zu ſchoͤpfen, in den Garten, wo<lb/>ſich gleich ihr Zank erhob uͤber <hirendition="#aq">Platonizantes</hi> und<lb/><hirendition="#aq">Judaizantes</hi>. Semler warf Grunern vor, daß es<lb/>
ihm an Einſicht in die aͤltere Kirchengeſchichte fehlte,<lb/>
und dieſer raͤchte ſich, daß er Semlern ſagte, er<lb/>ſpraͤche und ſchrieb kein reines roͤmiſches Latein.<lb/>
Nachdem der Streit eine Zeitlang gewaͤhrt hat-<lb/>
te, gerieth Gruner dergeſtalt in Hitze, daß er davon<lb/>
lief, und noch auf der Straße uͤberlaut Semlern des<lb/>
Starrſinns beſchuldigte. Man ſchickte zu ihm, und<lb/>
ließ ihn bitten, zuruͤck zu kommen; aber dazu war<lb/>
er dieſen Tag nicht zu bewegen.</p><lb/><p>Der halliſche Stadtpopanz<notexml:id="note-0134"next="#note-0135"place="foot"n="z)">Der Poͤbel in Halle iſt, wie der Poͤbel aller Orten,<lb/>ſehr aberglaͤubiſch. Er hat eine Menge Geſpenſter,<lb/>
glaubt an Hexereien, giebt ſogar Karaktere von den</note>, <hirendition="#g">der Moͤnch</hi><lb/>
genannt, hat dem guten Semler auch zu ſchaffen<lb/></p></div></body></text></TEI>
[132/0134]
und Semler waren darin einig, daß viele Fratzen
im kirchlichen Syſteme herrſchten: Aber daruͤber
hatten ſie verſchiedene Gedanken, wie dieſe Fratzen
entſtanden waͤren. Gruner leitete alles aus der
Neuplatoniſchen Philoſophie her, und brachte immer
ſeine veteres Platonizantes an; Semler hinge-
gen hatte ſeine Judaizantes, und ſo entſtand bei
ihren Unterredungen mancher Zwiſt. Einſt war Gru-
ner am Neujahrstage bei Semlern zu Tiſche gebeten:
ſie gingen, um Luft zu ſchoͤpfen, in den Garten, wo
ſich gleich ihr Zank erhob uͤber Platonizantes und
Judaizantes. Semler warf Grunern vor, daß es
ihm an Einſicht in die aͤltere Kirchengeſchichte fehlte,
und dieſer raͤchte ſich, daß er Semlern ſagte, er
ſpraͤche und ſchrieb kein reines roͤmiſches Latein.
Nachdem der Streit eine Zeitlang gewaͤhrt hat-
te, gerieth Gruner dergeſtalt in Hitze, daß er davon
lief, und noch auf der Straße uͤberlaut Semlern des
Starrſinns beſchuldigte. Man ſchickte zu ihm, und
ließ ihn bitten, zuruͤck zu kommen; aber dazu war
er dieſen Tag nicht zu bewegen.
Der halliſche Stadtpopanz z), der Moͤnch
genannt, hat dem guten Semler auch zu ſchaffen
z) Der Poͤbel in Halle iſt, wie der Poͤbel aller Orten,
ſehr aberglaͤubiſch. Er hat eine Menge Geſpenſter,
glaubt an Hexereien, giebt ſogar Karaktere von den
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 2. Halle, 1792, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben02_1792/134>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.