Herren Professoren selbst thun, möchte noch zu un- tersuchen seyn. Einige lesen ihre Wissenschaften nach Dictaten, und das ist allemal verfänglich. Warum lassen die Herren kein Kompendium drucken, oder warum nehmen sie nicht schon gedruckte Kompen- dien zum Leitfaden ihrer Vorlesungen? Man beden- ke die Zeit, welche mit dem Dictiren der Paragra- phen hingebracht wird, -- wie fehlerhaft selbst diese Paragraphen aufgeschrieben werden: und man wird finden, daß die Kuratoren der göttingischen Univer- sität Recht hatten, da sie den Professoren befahlen, nur über gedruckte Compendien zu lesen.
Bei meiner Ankunft in Halle waren alle Facul- täten vortreflich besetzt: bei den Theologen lehrten Semler und Nösselt: in der Juristenfakultät waren Nettelbladt und Woltär: Goldha- gen und Meckel waren Mediciner, und bei den Philosophen waren Karsten und Eberhard: das waren Männer, deren Einer so eine ganze an- dre Akademie aufwog! Die übrigen waren entweder Anfänger, oder noch ohne großen Ruf und Kredit. Nur die Philologie schien vernachläßigt zu seyn. Der einzige Herr Niemeyer las zuweilen einige Phi- lologica, z. B. über Ciceros Redner, über einige griechische Tragödien u. s. w. Die philologischen Vor- lesungen des Herrn M.Fabri kamen noch weniger in Anschlag.
Herren Profeſſoren ſelbſt thun, moͤchte noch zu un- terſuchen ſeyn. Einige leſen ihre Wiſſenſchaften nach Dictaten, und das iſt allemal verfaͤnglich. Warum laſſen die Herren kein Kompendium drucken, oder warum nehmen ſie nicht ſchon gedruckte Kompen- dien zum Leitfaden ihrer Vorleſungen? Man beden- ke die Zeit, welche mit dem Dictiren der Paragra- phen hingebracht wird, — wie fehlerhaft ſelbſt dieſe Paragraphen aufgeſchrieben werden: und man wird finden, daß die Kuratoren der goͤttingiſchen Univer- ſitaͤt Recht hatten, da ſie den Profeſſoren befahlen, nur uͤber gedruckte Compendien zu leſen.
Bei meiner Ankunft in Halle waren alle Facul- taͤten vortreflich beſetzt: bei den Theologen lehrten Semler und Noͤſſelt: in der Juriſtenfakultaͤt waren Nettelbladt und Woltaͤr: Goldha- gen und Meckel waren Mediciner, und bei den Philoſophen waren Karſten und Eberhard: das waren Maͤnner, deren Einer ſo eine ganze an- dre Akademie aufwog! Die uͤbrigen waren entweder Anfaͤnger, oder noch ohne großen Ruf und Kredit. Nur die Philologie ſchien vernachlaͤßigt zu ſeyn. Der einzige Herr Niemeyer las zuweilen einige Phi- lologica, z. B. uͤber Ciceros Redner, uͤber einige griechiſche Tragoͤdien u. ſ. w. Die philologiſchen Vor- leſungen des Herrn M.Fabri kamen noch weniger in Anſchlag.
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[218[128]/0130]
Herren Profeſſoren ſelbſt thun, moͤchte noch zu un-
terſuchen ſeyn. Einige leſen ihre Wiſſenſchaften nach
Dictaten, und das iſt allemal verfaͤnglich. Warum
laſſen die Herren kein Kompendium drucken, oder
warum nehmen ſie nicht ſchon gedruckte Kompen-
dien zum Leitfaden ihrer Vorleſungen? Man beden-
ke die Zeit, welche mit dem Dictiren der Paragra-
phen hingebracht wird, — wie fehlerhaft ſelbſt dieſe
Paragraphen aufgeſchrieben werden: und man wird
finden, daß die Kuratoren der goͤttingiſchen Univer-
ſitaͤt Recht hatten, da ſie den Profeſſoren befahlen,
nur uͤber gedruckte Compendien zu leſen.
Bei meiner Ankunft in Halle waren alle Facul-
taͤten vortreflich beſetzt: bei den Theologen lehrten
Semler und Noͤſſelt: in der Juriſtenfakultaͤt
waren Nettelbladt und Woltaͤr: Goldha-
gen und Meckel waren Mediciner, und bei den
Philoſophen waren Karſten und Eberhard:
das waren Maͤnner, deren Einer ſo eine ganze an-
dre Akademie aufwog! Die uͤbrigen waren entweder
Anfaͤnger, oder noch ohne großen Ruf und Kredit.
Nur die Philologie ſchien vernachlaͤßigt zu ſeyn. Der
einzige Herr Niemeyer las zuweilen einige Phi-
lologica, z. B. uͤber Ciceros Redner, uͤber einige
griechiſche Tragoͤdien u. ſ. w. Die philologiſchen Vor-
leſungen des Herrn M. Fabri kamen noch weniger
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Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 2. Halle, 1792, S. 218[128]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben02_1792/130>, abgerufen am 24.11.2024.
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