Mein redlicher Freund, der Inspector Birau zu Alzey, den ich sehr oft und auf mehrere Tage be- suchte, ermahnte mich fleißig, mein freies Reden über die Religion einzustellen. "Sauft, lieber "Freund,"sagte er oft zu mir, "macht Hurkinder, "schlagt und rauft Euch, kurz, treibt alle Excesse: das "wird Euch nicht so viel schaden, als Eure Freigei- "sterei." -- Er hatte Recht: denn Saufen, Hu- ren u. d. gl. sind peccatilia, Herrn Simons Sün- den, wie D. Luther sagte, die der Küster vergiebt; aber über die Dreifaltigkeit zweifelhaft reden, ver- dient alle Anathemen. Ich ließ diese Ermahnungen im Ganzen vorbei gehen, und ward nur dann und wann behutsamer, warf mich auch zuweilen zum Apologeten des Christenthums in Gesellschaften auf, aber man merkte gar gut, daß es mir nicht Ernst war.
Da ich in der Rheingrafschaft Kandidat war, so kam das Ding von meiner Ketzerei vor das hoch- würdige Ohr des Grehweilerischen Consistoriums, welches mir dann ein Monitorium zuschickte, und mich ad diem -- ich weis nicht mehr welchen -- vor sich beschied. Ich erschien. Herr Rath Dietsch ließ mich doch niedersetzen, räusperte sich dann, und fing in einem gravitätischen Ton also an: "Mein lie- "ber Herr Kandidat, Sie sind in Verdacht gera- "then, als ob Sie an verschiedenen Orten, nament-
Mein redlicher Freund, der Inſpector Birau zu Alzey, den ich ſehr oft und auf mehrere Tage be- ſuchte, ermahnte mich fleißig, mein freies Reden uͤber die Religion einzuſtellen. „Sauft, lieber „Freund,“ſagte er oft zu mir, „macht Hurkinder, „ſchlagt und rauft Euch, kurz, treibt alle Exceſſe: das „wird Euch nicht ſo viel ſchaden, als Eure Freigei- „ſterei.“ — Er hatte Recht: denn Saufen, Hu- ren u. d. gl. ſind peccatilia, Herrn Simons Suͤn- den, wie D. Luther ſagte, die der Kuͤſter vergiebt; aber uͤber die Dreifaltigkeit zweifelhaft reden, ver- dient alle Anathemen. Ich ließ dieſe Ermahnungen im Ganzen vorbei gehen, und ward nur dann und wann behutſamer, warf mich auch zuweilen zum Apologeten des Chriſtenthums in Geſellſchaften auf, aber man merkte gar gut, daß es mir nicht Ernſt war.
Da ich in der Rheingrafſchaft Kandidat war, ſo kam das Ding von meiner Ketzerei vor das hoch- wuͤrdige Ohr des Grehweileriſchen Conſiſtoriums, welches mir dann ein Monitorium zuſchickte, und mich ad diem — ich weis nicht mehr welchen — vor ſich beſchied. Ich erſchien. Herr Rath Dietſch ließ mich doch niederſetzen, raͤuſperte ſich dann, und fing in einem gravitaͤtiſchen Ton alſo an: „Mein lie- „ber Herr Kandidat, Sie ſind in Verdacht gera- „then, als ob Sie an verſchiedenen Orten, nament-
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Mein redlicher Freund, der Inſpector Birau
zu Alzey, den ich ſehr oft und auf mehrere Tage be-
ſuchte, ermahnte mich fleißig, mein freies Reden
uͤber die Religion einzuſtellen. „Sauft, lieber
„Freund,“ſagte er oft zu mir, „macht Hurkinder,
„ſchlagt und rauft Euch, kurz, treibt alle Exceſſe: das
„wird Euch nicht ſo viel ſchaden, als Eure Freigei-
„ſterei.“ — Er hatte Recht: denn Saufen, Hu-
ren u. d. gl. ſind peccatilia, Herrn Simons Suͤn-
den, wie D. Luther ſagte, die der Kuͤſter vergiebt;
aber uͤber die Dreifaltigkeit zweifelhaft reden, ver-
dient alle Anathemen. Ich ließ dieſe Ermahnungen
im Ganzen vorbei gehen, und ward nur dann und
wann behutſamer, warf mich auch zuweilen zum
Apologeten des Chriſtenthums in Geſellſchaften auf,
aber man merkte gar gut, daß es mir nicht Ernſt
war.
Da ich in der Rheingrafſchaft Kandidat war,
ſo kam das Ding von meiner Ketzerei vor das hoch-
wuͤrdige Ohr des Grehweileriſchen Conſiſtoriums,
welches mir dann ein Monitorium zuſchickte, und
mich ad diem — ich weis nicht mehr welchen —
vor ſich beſchied. Ich erſchien. Herr Rath Dietſch
ließ mich doch niederſetzen, raͤuſperte ſich dann, und
fing in einem gravitaͤtiſchen Ton alſo an: „Mein lie-
„ber Herr Kandidat, Sie ſind in Verdacht gera-
„then, als ob Sie an verſchiedenen Orten, nament-
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Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 1. Halle, 1792, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben01_1792/316>, abgerufen am 24.11.2024.
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