bleichen Wangen, durch diese weißen Hände. Dunk- les Haar und dunkle Augen heben wie der leben- dige Grundton eines kühnen Schmerzgesanges die in schwarzen Sammt gehüllte Figur. Sie ist kein junges Mädchen mehr, feine Züge des Leids schwe- ben hin und her durch das zarte Antlitz, aber sie erhöhen die vornehme Tragik der ganzen Erscheinung, ich möchte sagen: sie reizen wie das historische Ko- lorit eines Romans.
Du weißt, wie sehr ich die Jugendfrische des Weibes allem späteren Reize vorziehe, welche ge- fülltes schönes Fleisch gewähren mögen, der Trieb ist mir ein Knabe, der das Wachsthum noch vor Augen hat; die Reife ist der letzte Schritt vor dem Welken, der Herbst ist tragisch, des Winters Tod lauert ihm auf der Schulter; aus des vollen Leibes lockender Haut seh ich die Falte lauschen, welche der nächste Erbe ist, und nur von Unerfahrnen nicht gesehen wird. Nur die junge Form hat wirklich zeugende Kraft, gesunde Sehnsucht, ächten Drang zeugende, die erfüllte Form hat eine Mattigkeit des Beendeten.
bleichen Wangen, durch dieſe weißen Haͤnde. Dunk- les Haar und dunkle Augen heben wie der leben- dige Grundton eines kuͤhnen Schmerzgeſanges die in ſchwarzen Sammt gehuͤllte Figur. Sie iſt kein junges Maͤdchen mehr, feine Zuͤge des Leids ſchwe- ben hin und her durch das zarte Antlitz, aber ſie erhoͤhen die vornehme Tragik der ganzen Erſcheinung, ich moͤchte ſagen: ſie reizen wie das hiſtoriſche Ko- lorit eines Romans.
Du weißt, wie ſehr ich die Jugendfriſche des Weibes allem ſpaͤteren Reize vorziehe, welche ge- fuͤlltes ſchoͤnes Fleiſch gewaͤhren moͤgen, der Trieb iſt mir ein Knabe, der das Wachsthum noch vor Augen hat; die Reife iſt der letzte Schritt vor dem Welken, der Herbſt iſt tragiſch, des Winters Tod lauert ihm auf der Schulter; aus des vollen Leibes lockender Haut ſeh ich die Falte lauſchen, welche der naͤchſte Erbe iſt, und nur von Unerfahrnen nicht geſehen wird. Nur die junge Form hat wirklich zeugende Kraft, geſunde Sehnſucht, aͤchten Drang zeugende, die erfuͤllte Form hat eine Mattigkeit des Beendeten.
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bleichen Wangen, durch dieſe weißen Haͤnde. Dunk-
les Haar und dunkle Augen heben wie der leben-
dige Grundton eines kuͤhnen Schmerzgeſanges die
in ſchwarzen Sammt gehuͤllte Figur. Sie iſt kein
junges Maͤdchen mehr, feine Zuͤge des Leids ſchwe-
ben hin und her durch das zarte Antlitz, aber ſie
erhoͤhen die vornehme Tragik der ganzen Erſcheinung,
ich moͤchte ſagen: ſie reizen wie das hiſtoriſche Ko-
lorit eines Romans.
Du weißt, wie ſehr ich die Jugendfriſche des
Weibes allem ſpaͤteren Reize vorziehe, welche ge-
fuͤlltes ſchoͤnes Fleiſch gewaͤhren moͤgen, der Trieb
iſt mir ein Knabe, der das Wachsthum noch vor
Augen hat; die Reife iſt der letzte Schritt vor dem
Welken, der Herbſt iſt tragiſch, des Winters Tod
lauert ihm auf der Schulter; aus des vollen Leibes
lockender Haut ſeh ich die Falte lauſchen, welche
der naͤchſte Erbe iſt, und nur von Unerfahrnen
nicht geſehen wird. Nur die junge Form hat wirklich
zeugende Kraft, geſunde Sehnſucht, aͤchten Drang
zeugende, die erfuͤllte Form hat eine Mattigkeit des
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Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 3. Mannheim, 1837, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa03_1837/236>, abgerufen am 24.11.2024.
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