quoll warm herein -- es war ein wunderbarer Mo- ment: alle die alten Freudenkräfte meines Jnnern rüttelten und regten sich, und es hob sich ein Drang, als ob ich noch einmal jauchzen könnte; ich hätte wohl selbst den harten Kerkermeistern einen Augen- blick danken mögen. Aber es kroch wieder zusam- men, mein vergrollterer, stärkerer Genoß schalt mich, und sagte, es sei unwürdig, dieser Gewalt gegen- über eine dankbare Regung zu zeigen; wir saßen aber den ganzen Tag am Fenster, um uns zu son- nen, und es beschlich mich zuweilen wieder ein leises geheimnißvolles Behagen; der Winter schien im Sturmeslaufe aus der Welt zu ziehn, und die Luft hatte wieder Befruchtung in sich. Auch ein unter- haltender Anblick war in der neuen Zelle: auf dem großen Hofe genossen die Gefangenen dieses Viertels ihre Freistunde, nach jeder Stunde kam ein anderes Paar. Alle waren blaß, aber wie verschieden trugen sie ihr Unglück: der Eine rannte stürmisch, unauf- haltsam, bis er am Laternenpfahl ausruhen mußte; der Zweite hatte Rock und Gesicht und Augen tief zugeknöpft, der Haß war in hundert Falten einge- schnürt, er ging ruhig und gemessen umher; der
quoll warm herein — es war ein wunderbarer Mo- ment: alle die alten Freudenkräfte meines Jnnern rüttelten und regten ſich, und es hob ſich ein Drang, als ob ich noch einmal jauchzen könnte; ich hätte wohl ſelbſt den harten Kerkermeiſtern einen Augen- blick danken mögen. Aber es kroch wieder zuſam- men, mein vergrollterer, ſtärkerer Genoß ſchalt mich, und ſagte, es ſei unwürdig, dieſer Gewalt gegen- über eine dankbare Regung zu zeigen; wir ſaßen aber den ganzen Tag am Fenſter, um uns zu ſon- nen, und es beſchlich mich zuweilen wieder ein leiſes geheimnißvolles Behagen; der Winter ſchien im Sturmeslaufe aus der Welt zu ziehn, und die Luft hatte wieder Befruchtung in ſich. Auch ein unter- haltender Anblick war in der neuen Zelle: auf dem großen Hofe genoſſen die Gefangenen dieſes Viertels ihre Freiſtunde, nach jeder Stunde kam ein anderes Paar. Alle waren blaß, aber wie verſchieden trugen ſie ihr Unglück: der Eine rannte ſtürmiſch, unauf- haltſam, bis er am Laternenpfahl ausruhen mußte; der Zweite hatte Rock und Geſicht und Augen tief zugeknöpft, der Haß war in hundert Falten einge- ſchnürt, er ging ruhig und gemeſſen umher; der
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quoll warm herein — es war ein wunderbarer Mo-
ment: alle die alten Freudenkräfte meines Jnnern
rüttelten und regten ſich, und es hob ſich ein Drang,
als ob ich noch einmal jauchzen könnte; ich hätte
wohl ſelbſt den harten Kerkermeiſtern einen Augen-
blick danken mögen. Aber es kroch wieder zuſam-
men, mein vergrollterer, ſtärkerer Genoß ſchalt mich,
und ſagte, es ſei unwürdig, dieſer Gewalt gegen-
über eine dankbare Regung zu zeigen; wir ſaßen
aber den ganzen Tag am Fenſter, um uns zu ſon-
nen, und es beſchlich mich zuweilen wieder ein leiſes
geheimnißvolles Behagen; der Winter ſchien im
Sturmeslaufe aus der Welt zu ziehn, und die Luft
hatte wieder Befruchtung in ſich. Auch ein unter-
haltender Anblick war in der neuen Zelle: auf dem
großen Hofe genoſſen die Gefangenen dieſes Viertels
ihre Freiſtunde, nach jeder Stunde kam ein anderes
Paar. Alle waren blaß, aber wie verſchieden trugen
ſie ihr Unglück: der Eine rannte ſtürmiſch, unauf-
haltſam, bis er am Laternenpfahl ausruhen mußte;
der Zweite hatte Rock und Geſicht und Augen tief
zugeknöpft, der Haß war in hundert Falten einge-
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Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 3. Mannheim, 1837, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa03_1837/179>, abgerufen am 27.11.2024.
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