Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 3. Mannheim, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

Heiligen! Und ich kann zehn Schritte umhergehn,
kann liegen, kann sitzen, denken, was ich will: wie
bequem hab' ich's neben dieser Menschenart, und
doch sind's auch Menschen. Jch stelle mich jetzt
manchmal eine zeitlang unter meine Fensterblende,
sehe in den Himmelsstreifen, strecke den Arm aus,
denke einen Gedanken, bis ich wirblich werde, und
erschöpft zusammensinke. Dann empfinde ich, daß
mein Loos noch beneidenswerth!



Welch ein kalter Strom hat sich wieder an
meine Einsamkeit hergewälzt! Jch habe kaum Fas-
sung, Dir zu schildern. Gestern kam der entschlossene,
klirrende Schritt des Ordonnanzsoldaten neben unserm
Wächter den Korridor entlang, und über Jeden von
uns legte sich das athemlose Beben, daß der Schritt
vor seiner Zelle halten, seinen Namen rufen werde
-- das ist so schreckhaft! Denke Dir, wie sehr
unsere Nerven schon zerstört sind: das Verhör allein
kann uns fördern, den traurigen Zustand ändern-
wenn nicht in einen besseren verwandeln, denn im
schlimmsten Falle ist Strafgefängniß eine Erholung

7 *

Heiligen! Und ich kann zehn Schritte umhergehn,
kann liegen, kann ſitzen, denken, was ich will: wie
bequem hab’ ich’s neben dieſer Menſchenart, und
doch ſind’s auch Menſchen. Jch ſtelle mich jetzt
manchmal eine zeitlang unter meine Fenſterblende,
ſehe in den Himmelsſtreifen, ſtrecke den Arm aus,
denke einen Gedanken, bis ich wirblich werde, und
erſchöpft zuſammenſinke. Dann empfinde ich, daß
mein Loos noch beneidenswerth!



Welch ein kalter Strom hat ſich wieder an
meine Einſamkeit hergewälzt! Jch habe kaum Faſ-
ſung, Dir zu ſchildern. Geſtern kam der entſchloſſene,
klirrende Schritt des Ordonnanzſoldaten neben unſerm
Wächter den Korridor entlang, und über Jeden von
uns legte ſich das athemloſe Beben, daß der Schritt
vor ſeiner Zelle halten, ſeinen Namen rufen werde
— das iſt ſo ſchreckhaft! Denke Dir, wie ſehr
unſere Nerven ſchon zerſtört ſind: das Verhör allein
kann uns fördern, den traurigen Zuſtand ändern-
wenn nicht in einen beſſeren verwandeln, denn im
ſchlimmſten Falle iſt Strafgefängniß eine Erholung

7 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0161" n="153"/>
Heiligen! Und ich kann zehn Schritte umhergehn,<lb/>
kann liegen, kann &#x017F;itzen, denken, was ich will: wie<lb/>
bequem hab&#x2019; ich&#x2019;s neben die&#x017F;er Men&#x017F;chenart, und<lb/>
doch &#x017F;ind&#x2019;s auch Men&#x017F;chen. Jch &#x017F;telle mich jetzt<lb/>
manchmal eine zeitlang unter meine Fen&#x017F;terblende,<lb/>
&#x017F;ehe in den Himmels&#x017F;treifen, &#x017F;trecke den Arm aus,<lb/>
denke einen Gedanken, bis ich wirblich werde, und<lb/>
er&#x017F;chöpft zu&#x017F;ammen&#x017F;inke. Dann empfinde ich, daß<lb/>
mein Loos noch beneidenswerth!</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>Welch ein kalter Strom hat &#x017F;ich wieder an<lb/>
meine Ein&#x017F;amkeit hergewälzt! Jch habe kaum Fa&#x017F;-<lb/>
&#x017F;ung, Dir zu &#x017F;childern. Ge&#x017F;tern kam der ent&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;ene,<lb/>
klirrende Schritt des Ordonnanz&#x017F;oldaten neben un&#x017F;erm<lb/>
Wächter den Korridor entlang, und über Jeden von<lb/>
uns legte &#x017F;ich das athemlo&#x017F;e Beben, daß der Schritt<lb/>
vor &#x017F;einer Zelle halten, &#x017F;einen Namen rufen werde<lb/>
&#x2014; das i&#x017F;t &#x017F;o &#x017F;chreckhaft! Denke Dir, wie &#x017F;ehr<lb/>
un&#x017F;ere Nerven &#x017F;chon zer&#x017F;tört &#x017F;ind: das Verhör allein<lb/>
kann uns fördern, den traurigen Zu&#x017F;tand ändern-<lb/>
wenn nicht in einen be&#x017F;&#x017F;eren verwandeln, denn im<lb/>
&#x017F;chlimm&#x017F;ten Falle i&#x017F;t Strafgefängniß eine Erholung<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#b">7 *</hi></fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[153/0161] Heiligen! Und ich kann zehn Schritte umhergehn, kann liegen, kann ſitzen, denken, was ich will: wie bequem hab’ ich’s neben dieſer Menſchenart, und doch ſind’s auch Menſchen. Jch ſtelle mich jetzt manchmal eine zeitlang unter meine Fenſterblende, ſehe in den Himmelsſtreifen, ſtrecke den Arm aus, denke einen Gedanken, bis ich wirblich werde, und erſchöpft zuſammenſinke. Dann empfinde ich, daß mein Loos noch beneidenswerth! Welch ein kalter Strom hat ſich wieder an meine Einſamkeit hergewälzt! Jch habe kaum Faſ- ſung, Dir zu ſchildern. Geſtern kam der entſchloſſene, klirrende Schritt des Ordonnanzſoldaten neben unſerm Wächter den Korridor entlang, und über Jeden von uns legte ſich das athemloſe Beben, daß der Schritt vor ſeiner Zelle halten, ſeinen Namen rufen werde — das iſt ſo ſchreckhaft! Denke Dir, wie ſehr unſere Nerven ſchon zerſtört ſind: das Verhör allein kann uns fördern, den traurigen Zuſtand ändern- wenn nicht in einen beſſeren verwandeln, denn im ſchlimmſten Falle iſt Strafgefängniß eine Erholung 7 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa03_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa03_1837/161
Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 3. Mannheim, 1837, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa03_1837/161>, abgerufen am 25.11.2024.