versetzte Fensterchen ist etwas tiefer, und ich sehe durch die Blendenöffnung oben die Spitze eines Baumes -- Vortheile, die mir einen glücklichen Tag bereiteten. Alles Uebrige blieb beim Alten, dennoch schien mir der Fortschritt riesengroß; für das Elend ist alles Glück wohlfeil. Aber es dauerte nicht lang, wie zu den Thränen, so ist zum deut- lichen Bewußtwerden des Mangels ein niedrigerer Grad des Leides nöthig; wo das Leid nicht mehr ganz und allein ist und alle Räume ausfüllt, da erscheint die Klage. Jetzt kam die schmerzhafteste Sehnsucht nach Beschäftigung, nach einem Anhalt der regellos schweifenden, sich zu Tode hetzenden Ge- danken. Diese Gedanken unter sich keuchten zwei- mal dergestalt bis zu einem Punkte ihrer eignen Verzweiflung, daß ich mit Entsetzen fühlte, ich sei an der Grenze, wo der Wahnsinn mir entgegen- stierte. Jch warf mich auf's Bett, drückte den Kopf in die Kissen, aber die Gedanken werden davon nicht berührt, sie fangen ihren wüsten Tumult wie- der an, sie schreien nach Stoff, ich sprang wieder auf und lief umher, ich versuchte es, ob nicht ein altes Lied in der eingetrockneten Kehle raste, kräch-
verſetzte Fenſterchen iſt etwas tiefer, und ich ſehe durch die Blendenöffnung oben die Spitze eines Baumes — Vortheile, die mir einen glücklichen Tag bereiteten. Alles Uebrige blieb beim Alten, dennoch ſchien mir der Fortſchritt rieſengroß; für das Elend iſt alles Glück wohlfeil. Aber es dauerte nicht lang, wie zu den Thränen, ſo iſt zum deut- lichen Bewußtwerden des Mangels ein niedrigerer Grad des Leides nöthig; wo das Leid nicht mehr ganz und allein iſt und alle Räume ausfüllt, da erſcheint die Klage. Jetzt kam die ſchmerzhafteſte Sehnſucht nach Beſchäftigung, nach einem Anhalt der regellos ſchweifenden, ſich zu Tode hetzenden Ge- danken. Dieſe Gedanken unter ſich keuchten zwei- mal dergeſtalt bis zu einem Punkte ihrer eignen Verzweiflung, daß ich mit Entſetzen fühlte, ich ſei an der Grenze, wo der Wahnſinn mir entgegen- ſtierte. Jch warf mich auf’s Bett, drückte den Kopf in die Kiſſen, aber die Gedanken werden davon nicht berührt, ſie fangen ihren wüſten Tumult wie- der an, ſie ſchreien nach Stoff, ich ſprang wieder auf und lief umher, ich verſuchte es, ob nicht ein altes Lied in der eingetrockneten Kehle raſte, kräch-
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verſetzte Fenſterchen iſt etwas tiefer, und ich ſehe
durch die Blendenöffnung oben die Spitze eines
Baumes — Vortheile, die mir einen glücklichen
Tag bereiteten. Alles Uebrige blieb beim Alten,
dennoch ſchien mir der Fortſchritt rieſengroß; für
das Elend iſt alles Glück wohlfeil. Aber es dauerte
nicht lang, wie zu den Thränen, ſo iſt zum deut-
lichen Bewußtwerden des Mangels ein niedrigerer
Grad des Leides nöthig; wo das Leid nicht mehr
ganz und allein iſt und alle Räume ausfüllt, da
erſcheint die Klage. Jetzt kam die ſchmerzhafteſte
Sehnſucht nach Beſchäftigung, nach einem Anhalt
der regellos ſchweifenden, ſich zu Tode hetzenden Ge-
danken. Dieſe Gedanken unter ſich keuchten zwei-
mal dergeſtalt bis zu einem Punkte ihrer eignen
Verzweiflung, daß ich mit Entſetzen fühlte, ich ſei
an der Grenze, wo der Wahnſinn mir entgegen-
ſtierte. Jch warf mich auf’s Bett, drückte den Kopf
in die Kiſſen, aber die Gedanken werden davon
nicht berührt, ſie fangen ihren wüſten Tumult wie-
der an, ſie ſchreien nach Stoff, ich ſprang wieder
auf und lief umher, ich verſuchte es, ob nicht ein
altes Lied in der eingetrockneten Kehle raſte, kräch-
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Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 3. Mannheim, 1837, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa03_1837/127>, abgerufen am 22.11.2024.
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