Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 3. Mannheim, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

Was soll ich Dir nun sagen, wo ich überall hin
gerathen bin? Wir sind eben Tag und Nacht ge-
ritten, und an einem frischen Morgen haben die
Kosacken mit einander berathschlagt, das hat nur
ein Paar Minuten gedauert, und wir haben dann
unsere ursprüngliche Richtung aufgegeben und uns
nach Süden gewendet. Dann sind wir geritten
lange, lange über unendliche Ebenen, ich hatte ver-
gessen, was Sonntag oder Montag sei, ich habe
auch mit Joel kein Wort gesprochen, wir waren
beide blasirt, so sind wir an die mongolischen Wäl-
der gekommen. Und die Pferde liefen immer weiter;
eines Abends lag auf der Fläche eine mongolische
Jurta vor uns. Dies ist ein Filzzelt, in welchem
der Mongole schläft; dort steht sein großer Kessel,
den er mit Kuhhaaren auswischt, in dem er seinen
Thee kocht; der Thee ist sein tägliches Labsal. Jn
Form eines Ziegels, an die fünfzehn Zoll lang, und
wohl drei Pfund schwer, wird dieser Thee aufbe-
wahrt, und man nennt ihn seiner Form wegen
Ziegelthee. Solch ein Ziegel wird in den Kessel
geworfen und zerkocht, man schüttet etwas unreines
Steppensalz hinein, was viel Bittersalz enthält und

Was ſoll ich Dir nun ſagen, wo ich überall hin
gerathen bin? Wir ſind eben Tag und Nacht ge-
ritten, und an einem friſchen Morgen haben die
Koſacken mit einander berathſchlagt, das hat nur
ein Paar Minuten gedauert, und wir haben dann
unſere urſprüngliche Richtung aufgegeben und uns
nach Süden gewendet. Dann ſind wir geritten
lange, lange über unendliche Ebenen, ich hatte ver-
geſſen, was Sonntag oder Montag ſei, ich habe
auch mit Joel kein Wort geſprochen, wir waren
beide blaſirt, ſo ſind wir an die mongoliſchen Wäl-
der gekommen. Und die Pferde liefen immer weiter;
eines Abends lag auf der Fläche eine mongoliſche
Jurta vor uns. Dies iſt ein Filzzelt, in welchem
der Mongole ſchläft; dort ſteht ſein großer Keſſel,
den er mit Kuhhaaren auswiſcht, in dem er ſeinen
Thee kocht; der Thee iſt ſein tägliches Labſal. Jn
Form eines Ziegels, an die fünfzehn Zoll lang, und
wohl drei Pfund ſchwer, wird dieſer Thee aufbe-
wahrt, und man nennt ihn ſeiner Form wegen
Ziegelthee. Solch ein Ziegel wird in den Keſſel
geworfen und zerkocht, man ſchüttet etwas unreines
Steppenſalz hinein, was viel Bitterſalz enthält und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0107" n="99"/>
Was &#x017F;oll ich Dir nun &#x017F;agen, wo ich überall hin<lb/>
gerathen bin? Wir &#x017F;ind eben Tag und Nacht ge-<lb/>
ritten, und an einem fri&#x017F;chen Morgen haben die<lb/>
Ko&#x017F;acken mit einander berath&#x017F;chlagt, das hat nur<lb/>
ein Paar Minuten gedauert, und wir haben dann<lb/>
un&#x017F;ere ur&#x017F;prüngliche Richtung aufgegeben und uns<lb/>
nach Süden gewendet. Dann &#x017F;ind wir geritten<lb/>
lange, lange über unendliche Ebenen, ich hatte ver-<lb/>
ge&#x017F;&#x017F;en, was Sonntag oder Montag &#x017F;ei, ich habe<lb/>
auch mit Joel kein Wort ge&#x017F;prochen, wir waren<lb/>
beide bla&#x017F;irt, &#x017F;o &#x017F;ind wir an die mongoli&#x017F;chen Wäl-<lb/>
der gekommen. Und die Pferde liefen immer weiter;<lb/>
eines Abends lag auf der Fläche eine mongoli&#x017F;che<lb/>
Jurta vor uns. Dies i&#x017F;t ein Filzzelt, in welchem<lb/>
der Mongole &#x017F;chläft; dort &#x017F;teht &#x017F;ein großer Ke&#x017F;&#x017F;el,<lb/>
den er mit Kuhhaaren auswi&#x017F;cht, in dem er &#x017F;einen<lb/>
Thee kocht; der Thee i&#x017F;t &#x017F;ein tägliches Lab&#x017F;al. Jn<lb/>
Form eines Ziegels, an die fünfzehn Zoll lang, und<lb/>
wohl drei Pfund &#x017F;chwer, wird die&#x017F;er Thee aufbe-<lb/>
wahrt, und man nennt ihn &#x017F;einer Form wegen<lb/>
Ziegelthee. Solch ein Ziegel wird in den Ke&#x017F;&#x017F;el<lb/>
geworfen und zerkocht, man &#x017F;chüttet etwas unreines<lb/>
Steppen&#x017F;alz hinein, was viel Bitter&#x017F;alz enthält und<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[99/0107] Was ſoll ich Dir nun ſagen, wo ich überall hin gerathen bin? Wir ſind eben Tag und Nacht ge- ritten, und an einem friſchen Morgen haben die Koſacken mit einander berathſchlagt, das hat nur ein Paar Minuten gedauert, und wir haben dann unſere urſprüngliche Richtung aufgegeben und uns nach Süden gewendet. Dann ſind wir geritten lange, lange über unendliche Ebenen, ich hatte ver- geſſen, was Sonntag oder Montag ſei, ich habe auch mit Joel kein Wort geſprochen, wir waren beide blaſirt, ſo ſind wir an die mongoliſchen Wäl- der gekommen. Und die Pferde liefen immer weiter; eines Abends lag auf der Fläche eine mongoliſche Jurta vor uns. Dies iſt ein Filzzelt, in welchem der Mongole ſchläft; dort ſteht ſein großer Keſſel, den er mit Kuhhaaren auswiſcht, in dem er ſeinen Thee kocht; der Thee iſt ſein tägliches Labſal. Jn Form eines Ziegels, an die fünfzehn Zoll lang, und wohl drei Pfund ſchwer, wird dieſer Thee aufbe- wahrt, und man nennt ihn ſeiner Form wegen Ziegelthee. Solch ein Ziegel wird in den Keſſel geworfen und zerkocht, man ſchüttet etwas unreines Steppenſalz hinein, was viel Bitterſalz enthält und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa03_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa03_1837/107
Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 3. Mannheim, 1837, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa03_1837/107>, abgerufen am 23.11.2024.