ständig, allein aufgemacht, war hierher gekommen, zu allen Herrn und Behörden gelaufen, um für mich zu wirken, um zu mir zu dringen! Und sie weinte jetzt nicht, sie fragte stark und eifrig, worin sie helfen und nützen könne. O wie viel Rührendes, Ueber- schwengliches liegt im starken, liebenden Herzen eines Weibes! Daß ich nicht ängstlich treu sei, wußte sie aus meinem früheren Wesen und Leben, daß ich es ihr nicht geblieben, wußte sie nur zu gut; aber sie ist ein wirklich liebendes, ein ächtes, unver- fälschtes Weib, sie kam dennoch, da ich im Unglück war; im Glück hätte sie mich niemals gestört. O Du gute, herzensreiche Camilla! Konstantie wohnt näher, und hätte mit der geringsten Anstrengung große Mittel für mich in Bewegung zu setzen ver- mocht -- hierbei drängt es mich, Dir meine Schick- sale von dem Augenblicke an zu ergänzen, wo ich mit Joel in Krakau ankam, bis zu dem Augenblicke meiner Verhaftung. Aber der Papiermangel ge- stattet mir nur wenige Striche. Wirst Du es glaub- lich finden, daß ich auch kaum einen inneren und äußeren Zusammenhang in jene Zeit bringen könnte, daß Zeit, Verhältnisse und Menschen wie schatten-
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ſtändig, allein aufgemacht, war hierher gekommen, zu allen Herrn und Behörden gelaufen, um für mich zu wirken, um zu mir zu dringen! Und ſie weinte jetzt nicht, ſie fragte ſtark und eifrig, worin ſie helfen und nützen könne. O wie viel Rührendes, Ueber- ſchwengliches liegt im ſtarken, liebenden Herzen eines Weibes! Daß ich nicht ängſtlich treu ſei, wußte ſie aus meinem früheren Weſen und Leben, daß ich es ihr nicht geblieben, wußte ſie nur zu gut; aber ſie iſt ein wirklich liebendes, ein ächtes, unver- fälſchtes Weib, ſie kam dennoch, da ich im Unglück war; im Glück hätte ſie mich niemals geſtört. O Du gute, herzensreiche Camilla! Konſtantie wohnt näher, und hätte mit der geringſten Anſtrengung große Mittel für mich in Bewegung zu ſetzen ver- mocht — hierbei drängt es mich, Dir meine Schick- ſale von dem Augenblicke an zu ergänzen, wo ich mit Joel in Krakau ankam, bis zu dem Augenblicke meiner Verhaftung. Aber der Papiermangel ge- ſtattet mir nur wenige Striche. Wirſt Du es glaub- lich finden, daß ich auch kaum einen inneren und äußeren Zuſammenhang in jene Zeit bringen könnte, daß Zeit, Verhältniſſe und Menſchen wie ſchatten-
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ſtändig, allein aufgemacht, war hierher gekommen,
zu allen Herrn und Behörden gelaufen, um für mich
zu wirken, um zu mir zu dringen! Und ſie weinte
jetzt nicht, ſie fragte ſtark und eifrig, worin ſie helfen
und nützen könne. O wie viel Rührendes, Ueber-
ſchwengliches liegt im ſtarken, liebenden Herzen eines
Weibes! Daß ich nicht ängſtlich treu ſei, wußte
ſie aus meinem früheren Weſen und Leben, daß
ich es ihr nicht geblieben, wußte ſie nur zu gut;
aber ſie iſt ein wirklich liebendes, ein ächtes, unver-
fälſchtes Weib, ſie kam dennoch, da ich im Unglück
war; im Glück hätte ſie mich niemals geſtört. O
Du gute, herzensreiche Camilla! Konſtantie wohnt
näher, und hätte mit der geringſten Anſtrengung
große Mittel für mich in Bewegung zu ſetzen ver-
mocht — hierbei drängt es mich, Dir meine Schick-
ſale von dem Augenblicke an zu ergänzen, wo ich
mit Joel in Krakau ankam, bis zu dem Augenblicke
meiner Verhaftung. Aber der Papiermangel ge-
ſtattet mir nur wenige Striche. Wirſt Du es glaub-
lich finden, daß ich auch kaum einen inneren und
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daß Zeit, Verhältniſſe und Menſchen wie ſchatten-
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Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 3. Mannheim, 1837, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa03_1837/105>, abgerufen am 22.11.2024.
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