sich seine Stimme zu großer Milde, er rief mehr- mals den Namen Maria, und erzählte vor sich hin, wie er des Abends in den Mantel gehüllt unter Kirchenpfeilern gestanden, wie sie gekommen sei, und ihn geküßt habe, heiß und brünstig. Aber Jude -- Jude -- ein Jude" stöhnte er ingrimmig -- ich verlor die ganze Welt, und mein eigen Kind mußt' ich mir stehlen" -- --
"Jene Maria war vielleicht meine Mutter. Einmal nur hab' ich's zu Manasse gesagt, da starrte er mich an, und verfiel in eine schwere Krankheit. Kurz, mein Herr, ich bin als Jude aufgewachsen, und in dem einen Worte liegt das Unglück eines ganzen Menschenlebens."
"Die Juden Jerusalems kreuzigten Christum, und seine Bekenner kreuzigen dafür seit achtzehn hundert Jahren Alles, was Jude heißt auf dem weiten Erdboden. Und was noch schlimmer ist, sie haben bereits einen großen Theil dieses Volks so weit gebracht, daß er der Geißelung, der Verach- tung würdig ist. Sie haben ihnen Messer und Schere genommen, und prügeln sie, wenn sie mit ungeschornem Barte umhergehn." -- --
ſich ſeine Stimme zu großer Milde, er rief mehr- mals den Namen Maria, und erzählte vor ſich hin, wie er des Abends in den Mantel gehüllt unter Kirchenpfeilern geſtanden, wie ſie gekommen ſei, und ihn geküßt habe, heiß und brünſtig. Aber Jude — Jude — ein Jude“ ſtöhnte er ingrimmig — ich verlor die ganze Welt, und mein eigen Kind mußt’ ich mir ſtehlen“ — —
„Jene Maria war vielleicht meine Mutter. Einmal nur hab’ ich’s zu Manaſſe geſagt, da ſtarrte er mich an, und verfiel in eine ſchwere Krankheit. Kurz, mein Herr, ich bin als Jude aufgewachſen, und in dem einen Worte liegt das Unglück eines ganzen Menſchenlebens.“
„Die Juden Jeruſalems kreuzigten Chriſtum, und ſeine Bekenner kreuzigen dafür ſeit achtzehn hundert Jahren Alles, was Jude heißt auf dem weiten Erdboden. Und was noch ſchlimmer iſt, ſie haben bereits einen großen Theil dieſes Volks ſo weit gebracht, daß er der Geißelung, der Verach- tung würdig iſt. Sie haben ihnen Meſſer und Schere genommen, und prügeln ſie, wenn ſie mit ungeſchornem Barte umhergehn.“ — —
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0078"n="68"/>ſich ſeine Stimme zu großer Milde, er rief mehr-<lb/>
mals den Namen Maria, und erzählte vor ſich hin,<lb/>
wie er des Abends in den Mantel gehüllt unter<lb/>
Kirchenpfeilern geſtanden, wie ſie gekommen ſei, und<lb/>
ihn geküßt habe, heiß und brünſtig. Aber Jude —<lb/>
Jude — ein Jude“ſtöhnte er ingrimmig — ich<lb/>
verlor die ganze Welt, und mein eigen Kind mußt’<lb/>
ich mir ſtehlen“——</p><lb/><p>„Jene Maria war vielleicht meine Mutter.<lb/>
Einmal nur hab’ ich’s zu Manaſſe geſagt, da ſtarrte<lb/>
er mich an, und verfiel in eine ſchwere Krankheit.<lb/>
Kurz, mein Herr, ich bin als Jude aufgewachſen,<lb/>
und in dem einen Worte liegt das Unglück eines<lb/>
ganzen Menſchenlebens.“</p><lb/><p>„Die Juden Jeruſalems kreuzigten Chriſtum,<lb/>
und ſeine Bekenner kreuzigen dafür ſeit achtzehn<lb/>
hundert Jahren Alles, was Jude heißt auf dem<lb/>
weiten Erdboden. Und was noch ſchlimmer iſt, ſie<lb/>
haben bereits einen großen Theil dieſes Volks ſo<lb/>
weit gebracht, daß er der Geißelung, der Verach-<lb/>
tung würdig iſt. Sie haben ihnen Meſſer und<lb/>
Schere genommen, und prügeln ſie, wenn ſie mit<lb/>
ungeſchornem Barte umhergehn.“——</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[68/0078]
ſich ſeine Stimme zu großer Milde, er rief mehr-
mals den Namen Maria, und erzählte vor ſich hin,
wie er des Abends in den Mantel gehüllt unter
Kirchenpfeilern geſtanden, wie ſie gekommen ſei, und
ihn geküßt habe, heiß und brünſtig. Aber Jude —
Jude — ein Jude“ ſtöhnte er ingrimmig — ich
verlor die ganze Welt, und mein eigen Kind mußt’
ich mir ſtehlen“ — —
„Jene Maria war vielleicht meine Mutter.
Einmal nur hab’ ich’s zu Manaſſe geſagt, da ſtarrte
er mich an, und verfiel in eine ſchwere Krankheit.
Kurz, mein Herr, ich bin als Jude aufgewachſen,
und in dem einen Worte liegt das Unglück eines
ganzen Menſchenlebens.“
„Die Juden Jeruſalems kreuzigten Chriſtum,
und ſeine Bekenner kreuzigen dafür ſeit achtzehn
hundert Jahren Alles, was Jude heißt auf dem
weiten Erdboden. Und was noch ſchlimmer iſt, ſie
haben bereits einen großen Theil dieſes Volks ſo
weit gebracht, daß er der Geißelung, der Verach-
tung würdig iſt. Sie haben ihnen Meſſer und
Schere genommen, und prügeln ſie, wenn ſie mit
ungeſchornem Barte umhergehn.“ — —
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 2, 1. Mannheim, 1837, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0201_1837/78>, abgerufen am 18.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.