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Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 2, 1. Mannheim, 1837.

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mer an seine Krankheit zu erinnern. Alle Leiden
sind von einer Familie, die meisten Trostgedanken
passen auf alle, und die edelsten Leiden sind wie die
edelsten Familien: sie hören sich nicht gern selbst
nennen, wenn man über ihre Schmerzen spricht.
Das Unglück hat die zarteste Schamhaftigkeit. Des-
halb suchte Valerius einen fernen, und doch ver-
wandten Gedankengang, um nur in die Tonart
seines weinenden Nachbars einzufallen, nicht aber
seine Trauermelodie selbst anzustimmen.

Die Natur, hub er leise an, als setze er sein
Selbstgespräch fort, ist doch von tiefer Gerechtigkeit,
sie gleicht das äußere Leben durch's innere aus. Je
schwärzer es außen um den Menschen wird, desto
mehr wird er nach Jnnen gedrängt, desto lebendiger
entzündet er das Licht seiner inwendigsten Seele;
Leute, denen es immer nach Wunsch geht, sehen
niemals die verborgnen Reize des unergründlichen
Menschen. Der Flüchtling entdeckt alle versteckten
Thäler seiner Heimath. Nur das wäre ein zweifello-
ses Unglück, wenn großes Leid keine Poesie in dem
Menschen zu wecken vermöchte, aber das geschieht
nicht: die unglücklichsten Menschen sind immer die

mer an ſeine Krankheit zu erinnern. Alle Leiden
ſind von einer Familie, die meiſten Troſtgedanken
paſſen auf alle, und die edelſten Leiden ſind wie die
edelſten Familien: ſie hören ſich nicht gern ſelbſt
nennen, wenn man über ihre Schmerzen ſpricht.
Das Unglück hat die zarteſte Schamhaftigkeit. Des-
halb ſuchte Valerius einen fernen, und doch ver-
wandten Gedankengang, um nur in die Tonart
ſeines weinenden Nachbars einzufallen, nicht aber
ſeine Trauermelodie ſelbſt anzuſtimmen.

Die Natur, hub er leiſe an, als ſetze er ſein
Selbſtgeſpräch fort, iſt doch von tiefer Gerechtigkeit,
ſie gleicht das äußere Leben durch’s innere aus. Je
ſchwärzer es außen um den Menſchen wird, deſto
mehr wird er nach Jnnen gedrängt, deſto lebendiger
entzündet er das Licht ſeiner inwendigſten Seele;
Leute, denen es immer nach Wunſch geht, ſehen
niemals die verborgnen Reize des unergründlichen
Menſchen. Der Flüchtling entdeckt alle verſteckten
Thäler ſeiner Heimath. Nur das wäre ein zweifello-
ſes Unglück, wenn großes Leid keine Poeſie in dem
Menſchen zu wecken vermöchte, aber das geſchieht
nicht: die unglücklichſten Menſchen ſind immer die

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[65/0075] mer an ſeine Krankheit zu erinnern. Alle Leiden ſind von einer Familie, die meiſten Troſtgedanken paſſen auf alle, und die edelſten Leiden ſind wie die edelſten Familien: ſie hören ſich nicht gern ſelbſt nennen, wenn man über ihre Schmerzen ſpricht. Das Unglück hat die zarteſte Schamhaftigkeit. Des- halb ſuchte Valerius einen fernen, und doch ver- wandten Gedankengang, um nur in die Tonart ſeines weinenden Nachbars einzufallen, nicht aber ſeine Trauermelodie ſelbſt anzuſtimmen. Die Natur, hub er leiſe an, als ſetze er ſein Selbſtgeſpräch fort, iſt doch von tiefer Gerechtigkeit, ſie gleicht das äußere Leben durch’s innere aus. Je ſchwärzer es außen um den Menſchen wird, deſto mehr wird er nach Jnnen gedrängt, deſto lebendiger entzündet er das Licht ſeiner inwendigſten Seele; Leute, denen es immer nach Wunſch geht, ſehen niemals die verborgnen Reize des unergründlichen Menſchen. Der Flüchtling entdeckt alle verſteckten Thäler ſeiner Heimath. Nur das wäre ein zweifello- ſes Unglück, wenn großes Leid keine Poeſie in dem Menſchen zu wecken vermöchte, aber das geſchieht nicht: die unglücklichſten Menſchen ſind immer die

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Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 2, 1. Mannheim, 1837, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0201_1837/75>, abgerufen am 23.11.2024.