verträgt sich nicht mit dem romantischen Helden- thume.
Valerius hatte sich Polen anders gedacht, und er schalt sich, daß er sich wie ein Kind romantischen Vorstellungen hingegeben hatte. "Jst es nicht thöricht, andre Zustände von einem Lande verlangen zu wollen, dessen Entwickelung so gewaltsam gestört worden ist! bedarf's denn äußerer bunter Jllusionen, um die Begeisterung für einen schönen Begriff lebendig zu erhalten -- -- Leider ist es so; unsre Augen sind die schnellsten Boten, wir thun immer nur halb so viel für ein garstiges Mädchen, als für ein schönes, wenn wir auch glauben, es mit jener so gut zu meinen, als mit dieser."
So sprach er leise vor sich hin. Er kam nicht einmal zu dem Geständnisse, daß das Unbehagliche um ihn her, der wüste Saal, das Unordentliche des Hauses das Meiste beitrügen zu seinem Uebel- befinden. Er vergaß es völlig, daß er die Ansprüche eines Deutschen an eine fremde Nation mache, daß es jene Gemüthlichkeit, jenes Beisammensitzen, jenes Schwätzen sei, was er vermisse. Ueber die National- unterschiede glaubte er so weit hinweg zu sein, und
verträgt ſich nicht mit dem romantiſchen Helden- thume.
Valerius hatte ſich Polen anders gedacht, und er ſchalt ſich, daß er ſich wie ein Kind romantiſchen Vorſtellungen hingegeben hatte. „Jſt es nicht thöricht, andre Zuſtände von einem Lande verlangen zu wollen, deſſen Entwickelung ſo gewaltſam geſtört worden iſt! bedarf’s denn äußerer bunter Jlluſionen, um die Begeiſterung für einen ſchönen Begriff lebendig zu erhalten — — Leider iſt es ſo; unſre Augen ſind die ſchnellſten Boten, wir thun immer nur halb ſo viel für ein garſtiges Mädchen, als für ein ſchönes, wenn wir auch glauben, es mit jener ſo gut zu meinen, als mit dieſer.“
So ſprach er leiſe vor ſich hin. Er kam nicht einmal zu dem Geſtändniſſe, daß das Unbehagliche um ihn her, der wüſte Saal, das Unordentliche des Hauſes das Meiſte beitrügen zu ſeinem Uebel- befinden. Er vergaß es völlig, daß er die Anſprüche eines Deutſchen an eine fremde Nation mache, daß es jene Gemüthlichkeit, jenes Beiſammenſitzen, jenes Schwätzen ſei, was er vermiſſe. Ueber die National- unterſchiede glaubte er ſo weit hinweg zu ſein, und
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0066"n="56"/>
verträgt ſich nicht mit dem romantiſchen Helden-<lb/>
thume.</p><lb/><p>Valerius hatte ſich Polen anders gedacht, und<lb/>
er ſchalt ſich, daß er ſich wie ein Kind romantiſchen<lb/>
Vorſtellungen hingegeben hatte. „Jſt es nicht thöricht,<lb/>
andre Zuſtände von einem Lande verlangen zu wollen,<lb/>
deſſen Entwickelung ſo gewaltſam geſtört worden iſt!<lb/>
bedarf’s denn äußerer bunter Jlluſionen, um die<lb/>
Begeiſterung für einen ſchönen Begriff lebendig zu<lb/>
erhalten —— Leider iſt es ſo; unſre Augen ſind<lb/>
die ſchnellſten Boten, wir thun immer nur halb ſo<lb/>
viel für ein garſtiges Mädchen, als für ein ſchönes,<lb/>
wenn wir auch glauben, es mit jener ſo gut zu<lb/>
meinen, als mit dieſer.“</p><lb/><p>So ſprach er leiſe vor ſich hin. Er kam nicht<lb/>
einmal zu dem Geſtändniſſe, daß das Unbehagliche<lb/>
um ihn her, der wüſte Saal, das Unordentliche<lb/>
des Hauſes das Meiſte beitrügen zu ſeinem Uebel-<lb/>
befinden. Er vergaß es völlig, daß er die Anſprüche<lb/>
eines Deutſchen an eine fremde Nation mache, daß<lb/>
es jene Gemüthlichkeit, jenes Beiſammenſitzen, jenes<lb/>
Schwätzen ſei, was er vermiſſe. Ueber die National-<lb/>
unterſchiede glaubte er ſo weit hinweg zu ſein, und<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[56/0066]
verträgt ſich nicht mit dem romantiſchen Helden-
thume.
Valerius hatte ſich Polen anders gedacht, und
er ſchalt ſich, daß er ſich wie ein Kind romantiſchen
Vorſtellungen hingegeben hatte. „Jſt es nicht thöricht,
andre Zuſtände von einem Lande verlangen zu wollen,
deſſen Entwickelung ſo gewaltſam geſtört worden iſt!
bedarf’s denn äußerer bunter Jlluſionen, um die
Begeiſterung für einen ſchönen Begriff lebendig zu
erhalten — — Leider iſt es ſo; unſre Augen ſind
die ſchnellſten Boten, wir thun immer nur halb ſo
viel für ein garſtiges Mädchen, als für ein ſchönes,
wenn wir auch glauben, es mit jener ſo gut zu
meinen, als mit dieſer.“
So ſprach er leiſe vor ſich hin. Er kam nicht
einmal zu dem Geſtändniſſe, daß das Unbehagliche
um ihn her, der wüſte Saal, das Unordentliche
des Hauſes das Meiſte beitrügen zu ſeinem Uebel-
befinden. Er vergaß es völlig, daß er die Anſprüche
eines Deutſchen an eine fremde Nation mache, daß
es jene Gemüthlichkeit, jenes Beiſammenſitzen, jenes
Schwätzen ſei, was er vermiſſe. Ueber die National-
unterſchiede glaubte er ſo weit hinweg zu ſein, und
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 2, 1. Mannheim, 1837, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0201_1837/66>, abgerufen am 17.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.