die leeren Flaschen beiseit. Das war ein Geschäft, was der regierende Herr Graf alle Tage einigemal nöthig machte. Der weite wüste Saal lag in un- heimlicher Dämmerung, ein Licht, was für Valerius bestimmt war, brannte flackernd an einem Fenster, und der Luftzug, der durch die schlecht verwahrten Rahmen drang, drohte es zu verlöschen. Der alte Domestik ging leisen Schrittes schweigend ab und zu; in dem fernsten Winkel des Saales stand Va- lerius und blickte in die unfreundliche Nacht hinaus. Hie und da sah er eine Schneeflocke vorübergleiten.
Er war in einer traurigen Stimmung, wie sie im jungen Mannesalter bei einem prüfenden, stre- benden Geiste leider nicht so selten erscheint, als man zu glauben geneigt ist. Sein Charakter war nicht von jenem leidenschaftlichen Schwunge gehoben, der ohne weiteres auf den Dingen und Erscheinungen hinfliegt, welche sich ihm bieten. Obwohl der be- geisterndsten Gefühle fähig, war doch ein gewisses kritisches, rationelles Wesen in seinem Jnnern mächtig. Er hatte selten rasch und leidenschaftlich eine Rich- tung eingeschlagen; blieb er nun zwar im Verfolgen derselben um so standhafter und hartnäckiger, je
die leeren Flaſchen beiſeit. Das war ein Geſchäft, was der regierende Herr Graf alle Tage einigemal nöthig machte. Der weite wüſte Saal lag in un- heimlicher Dämmerung, ein Licht, was für Valerius beſtimmt war, brannte flackernd an einem Fenſter, und der Luftzug, der durch die ſchlecht verwahrten Rahmen drang, drohte es zu verlöſchen. Der alte Domeſtik ging leiſen Schrittes ſchweigend ab und zu; in dem fernſten Winkel des Saales ſtand Va- lerius und blickte in die unfreundliche Nacht hinaus. Hie und da ſah er eine Schneeflocke vorübergleiten.
Er war in einer traurigen Stimmung, wie ſie im jungen Mannesalter bei einem prüfenden, ſtre- benden Geiſte leider nicht ſo ſelten erſcheint, als man zu glauben geneigt iſt. Sein Charakter war nicht von jenem leidenſchaftlichen Schwunge gehoben, der ohne weiteres auf den Dingen und Erſcheinungen hinfliegt, welche ſich ihm bieten. Obwohl der be- geiſterndſten Gefühle fähig, war doch ein gewiſſes kritiſches, rationelles Weſen in ſeinem Jnnern mächtig. Er hatte ſelten raſch und leidenſchaftlich eine Rich- tung eingeſchlagen; blieb er nun zwar im Verfolgen derſelben um ſo ſtandhafter und hartnäckiger, je
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die leeren Flaſchen beiſeit. Das war ein Geſchäft,
was der regierende Herr Graf alle Tage einigemal
nöthig machte. Der weite wüſte Saal lag in un-
heimlicher Dämmerung, ein Licht, was für Valerius
beſtimmt war, brannte flackernd an einem Fenſter,
und der Luftzug, der durch die ſchlecht verwahrten
Rahmen drang, drohte es zu verlöſchen. Der alte
Domeſtik ging leiſen Schrittes ſchweigend ab und
zu; in dem fernſten Winkel des Saales ſtand Va-
lerius und blickte in die unfreundliche Nacht hinaus.
Hie und da ſah er eine Schneeflocke vorübergleiten.
Er war in einer traurigen Stimmung, wie ſie
im jungen Mannesalter bei einem prüfenden, ſtre-
benden Geiſte leider nicht ſo ſelten erſcheint, als
man zu glauben geneigt iſt. Sein Charakter war
nicht von jenem leidenſchaftlichen Schwunge gehoben,
der ohne weiteres auf den Dingen und Erſcheinungen
hinfliegt, welche ſich ihm bieten. Obwohl der be-
geiſterndſten Gefühle fähig, war doch ein gewiſſes
kritiſches, rationelles Weſen in ſeinem Jnnern mächtig.
Er hatte ſelten raſch und leidenſchaftlich eine Rich-
tung eingeſchlagen; blieb er nun zwar im Verfolgen
derſelben um ſo ſtandhafter und hartnäckiger, je
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Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 2, 1. Mannheim, 1837, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0201_1837/64>, abgerufen am 17.07.2024.
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