einem solchen sah er gleich in dem kurzen Schaf- pelze, der die Kniee kaum bedeckte, ist auf der Land- straße nicht gesellig, am wenigsten spricht er einen Juden an. Das unterläßt er nicht sowohl aus Haß oder Abneigung, sondern aus gewöhnlicher Gleich- gültigkeit. Der Reisende hat kein Jnteresse für ihn, und die teutsche Redseligkeit, die sich freut, wenn sie nur Gelegenheit findet, etwas zu reden, die kennt er nicht. Er geht tagelang durch Wald und Feld, ohne ein Wort zu sprechen. Er unterscheidet sich von der höhern Klasse in sehr vielen Dingen, welche nicht blos Reichthum und äußere Verhält- nisse betreffen. Das Melancholische des slavischen Volkscharakters ist noch vielfach am Bauer zu erken- nen. Mag er auch heftig, schnell, verschlagen erschei- nen, der trübe Slave ist doch der Grund seines Wesens, und Schweigsamkeit bringt er aus seiner Hütte mit. Das chevalereske lebendige Wesen der Polen, was uns als polnisches bekannt wird, ist, wie gesagt, mehr dem Vornehmen eigen, und wi- derspricht auch dem eben Gefagten nicht -- der lebhafteste Pole ist nicht so geschwätzig wie der Fran- zos und Teutsche.
einem ſolchen ſah er gleich in dem kurzen Schaf- pelze, der die Kniee kaum bedeckte, iſt auf der Land- ſtraße nicht geſellig, am wenigſten ſpricht er einen Juden an. Das unterläßt er nicht ſowohl aus Haß oder Abneigung, ſondern aus gewöhnlicher Gleich- gültigkeit. Der Reiſende hat kein Jntereſſe für ihn, und die teutſche Redſeligkeit, die ſich freut, wenn ſie nur Gelegenheit findet, etwas zu reden, die kennt er nicht. Er geht tagelang durch Wald und Feld, ohne ein Wort zu ſprechen. Er unterſcheidet ſich von der höhern Klaſſe in ſehr vielen Dingen, welche nicht blos Reichthum und äußere Verhält- niſſe betreffen. Das Melancholiſche des ſlaviſchen Volkscharakters iſt noch vielfach am Bauer zu erken- nen. Mag er auch heftig, ſchnell, verſchlagen erſchei- nen, der trübe Slave iſt doch der Grund ſeines Weſens, und Schweigſamkeit bringt er aus ſeiner Hütte mit. Das chevalereske lebendige Weſen der Polen, was uns als polniſches bekannt wird, iſt, wie geſagt, mehr dem Vornehmen eigen, und wi- derſpricht auch dem eben Gefagten nicht — der lebhafteſte Pole iſt nicht ſo geſchwätzig wie der Fran- zos und Teutſche.
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einem ſolchen ſah er gleich in dem kurzen Schaf-
pelze, der die Kniee kaum bedeckte, iſt auf der Land-
ſtraße nicht geſellig, am wenigſten ſpricht er einen
Juden an. Das unterläßt er nicht ſowohl aus Haß
oder Abneigung, ſondern aus gewöhnlicher Gleich-
gültigkeit. Der Reiſende hat kein Jntereſſe für ihn,
und die teutſche Redſeligkeit, die ſich freut, wenn
ſie nur Gelegenheit findet, etwas zu reden, die
kennt er nicht. Er geht tagelang durch Wald und
Feld, ohne ein Wort zu ſprechen. Er unterſcheidet
ſich von der höhern Klaſſe in ſehr vielen Dingen,
welche nicht blos Reichthum und äußere Verhält-
niſſe betreffen. Das Melancholiſche des ſlaviſchen
Volkscharakters iſt noch vielfach am Bauer zu erken-
nen. Mag er auch heftig, ſchnell, verſchlagen erſchei-
nen, der trübe Slave iſt doch der Grund ſeines
Weſens, und Schweigſamkeit bringt er aus ſeiner
Hütte mit. Das chevalereske lebendige Weſen der
Polen, was uns als polniſches bekannt wird, iſt,
wie geſagt, mehr dem Vornehmen eigen, und wi-
derſpricht auch dem eben Gefagten nicht — der
lebhafteſte Pole iſt nicht ſo geſchwätzig wie der Fran-
zos und Teutſche.
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Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 2, 1. Mannheim, 1837, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0201_1837/46>, abgerufen am 04.12.2024.
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