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Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 2. Leipzig, 1833.

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es ganz werden; der jetzige Durchgangspunkt aber bringe
wie jedes Ringen nach neuen Zuständen, wie alles
Halbe sehr viel Unglück, und die Frauen müßten sehr
auf ihrer Hut sein, da die öffentliche Meinung noch
keinesweges so weit gebracht sei, Toleranz gegen sie zu
üben. Die alten Verhältnisse seien wie die alte Kirche
in Auflösung begriffen, die Rettung sei nahe, aber
die Gefahr doppelt groß. Ich schreibe Dir diese Dinge
aus meinem treuen Gedächtniß; ich verstehe wenig oder
gar nichts davon, und sie würden mich wie alles Aen¬
dern beunruhigen, sähen sie nicht in dem Vortrage Va¬
lers so abgemacht aus. Die Fürstin protestirte feurig
dagegen. Sie gab die eigentliche Auflösung der Ehe
und Kirche in den höheren Ständen zu, fand die Auf¬
lösung vernünftig, verlangte aber das Beibehalten der
alten Formen, welche die Gebildeten schützten und doch
nicht beengten, der großen Masse aber nothwendig seien.
Valer nannte das lächelnd Aristokratismus und gebrauchte
den garstigen Ausdruck, daß auf diese Weise die Welt
verfaule. Geschwüre müsse man aufschneiden, auch
wenn es schmerze. Fi, -- wie häßlich klingt das und
doch fällt es mir jetzt erst auf; im Munde des Man¬
nes klang's nicht so. Herr William, einer der hiesigen

es ganz werden; der jetzige Durchgangspunkt aber bringe
wie jedes Ringen nach neuen Zuſtänden, wie alles
Halbe ſehr viel Unglück, und die Frauen müßten ſehr
auf ihrer Hut ſein, da die öffentliche Meinung noch
keinesweges ſo weit gebracht ſei, Toleranz gegen ſie zu
üben. Die alten Verhältniſſe ſeien wie die alte Kirche
in Auflöſung begriffen, die Rettung ſei nahe, aber
die Gefahr doppelt groß. Ich ſchreibe Dir dieſe Dinge
aus meinem treuen Gedächtniß; ich verſtehe wenig oder
gar nichts davon, und ſie würden mich wie alles Aen¬
dern beunruhigen, ſähen ſie nicht in dem Vortrage Va¬
lers ſo abgemacht aus. Die Fürſtin proteſtirte feurig
dagegen. Sie gab die eigentliche Auflöſung der Ehe
und Kirche in den höheren Ständen zu, fand die Auf¬
löſung vernünftig, verlangte aber das Beibehalten der
alten Formen, welche die Gebildeten ſchützten und doch
nicht beengten, der großen Maſſe aber nothwendig ſeien.
Valer nannte das lächelnd Ariſtokratismus und gebrauchte
den garſtigen Ausdruck, daß auf dieſe Weiſe die Welt
verfaule. Geſchwüre müſſe man aufſchneiden, auch
wenn es ſchmerze. Fi, — wie häßlich klingt das und
doch fällt es mir jetzt erſt auf; im Munde des Man¬
nes klang's nicht ſo. Herr William, einer der hieſigen

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[45[54]/0066] es ganz werden; der jetzige Durchgangspunkt aber bringe wie jedes Ringen nach neuen Zuſtänden, wie alles Halbe ſehr viel Unglück, und die Frauen müßten ſehr auf ihrer Hut ſein, da die öffentliche Meinung noch keinesweges ſo weit gebracht ſei, Toleranz gegen ſie zu üben. Die alten Verhältniſſe ſeien wie die alte Kirche in Auflöſung begriffen, die Rettung ſei nahe, aber die Gefahr doppelt groß. Ich ſchreibe Dir dieſe Dinge aus meinem treuen Gedächtniß; ich verſtehe wenig oder gar nichts davon, und ſie würden mich wie alles Aen¬ dern beunruhigen, ſähen ſie nicht in dem Vortrage Va¬ lers ſo abgemacht aus. Die Fürſtin proteſtirte feurig dagegen. Sie gab die eigentliche Auflöſung der Ehe und Kirche in den höheren Ständen zu, fand die Auf¬ löſung vernünftig, verlangte aber das Beibehalten der alten Formen, welche die Gebildeten ſchützten und doch nicht beengten, der großen Maſſe aber nothwendig ſeien. Valer nannte das lächelnd Ariſtokratismus und gebrauchte den garſtigen Ausdruck, daß auf dieſe Weiſe die Welt verfaule. Geſchwüre müſſe man aufſchneiden, auch wenn es ſchmerze. Fi, — wie häßlich klingt das und doch fällt es mir jetzt erſt auf; im Munde des Man¬ nes klang's nicht ſo. Herr William, einer der hieſigen

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Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 2. Leipzig, 1833, S. 45[54]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0102_1833/66>, abgerufen am 24.11.2024.