Lebens beziehend, setzte ich hinzu: Es ist aber auf der andern Seite etwas, was der Adel aus seiner Herrscher¬ zeit behalten hat, und was wir ihm immer noch nicht haben gleich thun können, das ist die leichte Art zu leben. Er lebt geflügelter, freier, weil er sich hoch ge¬ stellt glaubt, seine Geschäfte sind ihm Nebensache, der Genuß des Lebens aber Hauptsache. Er weiß mehr zu genießen, weil er mehr sucht. Die Mühen der Jahr¬ hunderte, durch welche wir bis hieher gekommen sind, lasten noch lähmend auf unsern Schwingen. Der Adel hat keine Mühen gekannt, drum ist sein Wesen leichter, drum verfällt er nicht in den Irrthum, das Geschäft für den Zweck anzusehen, wie es z. B. unser Kauf¬ mann thut. Unser höherer Bürgerstand lebt bequemer, weil er von Jugend her immer noch eine Flügelthür seines Herzens offen stehen hat und innerlich zu voll ist, um blos auf das Aeußere zu sehen; er erbt kein Ansehn, muß also sein Reisegeld verdienen -- aber der Adel lebt leichter, weil er von Jugend auf sorglos ist. Er kennt unsre Hypochondrie, die Krankheit der Mühe, nicht. Indeß, der Sieg ist schon lang erkämpft, und die Noth des Kampfes wird bald vergessen sein, dann er¬ werben wir auch diesen Vorzug, dann wird der Adel
Lebens beziehend, ſetzte ich hinzu: Es iſt aber auf der andern Seite etwas, was der Adel aus ſeiner Herrſcher¬ zeit behalten hat, und was wir ihm immer noch nicht haben gleich thun können, das iſt die leichte Art zu leben. Er lebt geflügelter, freier, weil er ſich hoch ge¬ ſtellt glaubt, ſeine Geſchäfte ſind ihm Nebenſache, der Genuß des Lebens aber Hauptſache. Er weiß mehr zu genießen, weil er mehr ſucht. Die Mühen der Jahr¬ hunderte, durch welche wir bis hieher gekommen ſind, laſten noch lähmend auf unſern Schwingen. Der Adel hat keine Mühen gekannt, drum iſt ſein Weſen leichter, drum verfällt er nicht in den Irrthum, das Geſchäft für den Zweck anzuſehen, wie es z. B. unſer Kauf¬ mann thut. Unſer höherer Bürgerſtand lebt bequemer, weil er von Jugend her immer noch eine Flügelthür ſeines Herzens offen ſtehen hat und innerlich zu voll iſt, um blos auf das Aeußere zu ſehen; er erbt kein Anſehn, muß alſo ſein Reiſegeld verdienen — aber der Adel lebt leichter, weil er von Jugend auf ſorglos iſt. Er kennt unſre Hypochondrie, die Krankheit der Mühe, nicht. Indeß, der Sieg iſt ſchon lang erkämpft, und die Noth des Kampfes wird bald vergeſſen ſein, dann er¬ werben wir auch dieſen Vorzug, dann wird der Adel
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Lebens beziehend, ſetzte ich hinzu: Es iſt aber auf der
andern Seite etwas, was der Adel aus ſeiner Herrſcher¬
zeit behalten hat, und was wir ihm immer noch nicht
haben gleich thun können, das iſt die leichte Art zu
leben. Er lebt geflügelter, freier, weil er ſich hoch ge¬
ſtellt glaubt, ſeine Geſchäfte ſind ihm Nebenſache, der
Genuß des Lebens aber Hauptſache. Er weiß mehr
zu genießen, weil er mehr ſucht. Die Mühen der Jahr¬
hunderte, durch welche wir bis hieher gekommen ſind,
laſten noch lähmend auf unſern Schwingen. Der Adel
hat keine Mühen gekannt, drum iſt ſein Weſen leichter,
drum verfällt er nicht in den Irrthum, das Geſchäft
für den Zweck anzuſehen, wie es z. B. unſer Kauf¬
mann thut. Unſer höherer Bürgerſtand lebt bequemer,
weil er von Jugend her immer noch eine Flügelthür
ſeines Herzens offen ſtehen hat und innerlich zu voll
iſt, um blos auf das Aeußere zu ſehen; er erbt kein
Anſehn, muß alſo ſein Reiſegeld verdienen — aber der
Adel lebt leichter, weil er von Jugend auf ſorglos iſt.
Er kennt unſre Hypochondrie, die Krankheit der Mühe,
nicht. Indeß, der Sieg iſt ſchon lang erkämpft, und die
Noth des Kampfes wird bald vergeſſen ſein, dann er¬
werben wir auch dieſen Vorzug, dann wird der Adel
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Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 2. Leipzig, 1833, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0102_1833/41>, abgerufen am 17.02.2025.
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