Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 2. Leipzig, 1833.

Bild:
<< vorherige Seite
29.
Hyppolit an Constantin.

Jag' Deine Augen Carriere durch diese Zeilen.
Sobald Du am Ende bist, eil' an die Thore nach Teutsch¬
land zu, gieb Aufträge, beschreibe, unterrichte, versprich
Belohnungen -- thu Alles, um der Gräfin Julia, wenig¬
stens ihrer Wohnung, wenigstens der Nachricht habhaft
zu werden, ob sie in Paris ist oder nicht. Dieser Brief
kommt auf dem kürzesten Wege zu Dir, er reis't gewiß
schneller als eine Dame. Vor einer Stunde ist Julia
abgereis't; ich trat nach jenem thörichten Geschwätz Leo¬
polds, wobei wir vielfach stehen geblieben waren, ge¬
lacht, kurz die Zeit vertrödelt hatten, in den Schloßhof,
und hoffte Julien verschämt aber liebevoll im Gesellschatfs¬
saale zu finden -- da fliegt Juliens Reisewagen über
die jenseitige Brücke, die vier Pferde wiehern wie hohn¬
lachend und ziehen die Beute im gestreckten Trabe von
dannen -- alle Muskeln schwellen mir, ich starre wie
ein zürnendes Steinbild hin, tausend Leidenschaften dro¬
hen mich zu zersprengen -- da wendet sich ein Kopf
aus dem Wagen; ich erkenne Julien, sie winkt Abschied

29.
Hyppolit an Constantin.

Jag' Deine Augen Carrière durch dieſe Zeilen.
Sobald Du am Ende biſt, eil' an die Thore nach Teutſch¬
land zu, gieb Aufträge, beſchreibe, unterrichte, verſprich
Belohnungen — thu Alles, um der Gräfin Julia, wenig¬
ſtens ihrer Wohnung, wenigſtens der Nachricht habhaft
zu werden, ob ſie in Paris iſt oder nicht. Dieſer Brief
kommt auf dem kürzeſten Wege zu Dir, er reiſ't gewiß
ſchneller als eine Dame. Vor einer Stunde iſt Julia
abgereiſ't; ich trat nach jenem thörichten Geſchwätz Leo¬
polds, wobei wir vielfach ſtehen geblieben waren, ge¬
lacht, kurz die Zeit vertrödelt hatten, in den Schloßhof,
und hoffte Julien verſchämt aber liebevoll im Geſellſchatfs¬
ſaale zu finden — da fliegt Juliens Reiſewagen über
die jenſeitige Brücke, die vier Pferde wiehern wie hohn¬
lachend und ziehen die Beute im geſtreckten Trabe von
dannen — alle Muskeln ſchwellen mir, ich ſtarre wie
ein zürnendes Steinbild hin, tauſend Leidenſchaften dro¬
hen mich zu zerſprengen — da wendet ſich ein Kopf
aus dem Wagen; ich erkenne Julien, ſie winkt Abſchied

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0112" n="100"/>
      </div>
      <div n="1">
        <head>29.<lb/><hi rendition="#b #g">Hyppolit an Constantin.</hi><lb/></head>
        <p>Jag' Deine Augen Carri<hi rendition="#aq">è</hi>re durch die&#x017F;e Zeilen.<lb/>
Sobald Du am Ende bi&#x017F;t, eil' an die Thore nach Teut&#x017F;ch¬<lb/>
land zu, gieb Aufträge, be&#x017F;chreibe, unterrichte, ver&#x017F;prich<lb/>
Belohnungen &#x2014; thu Alles, um der Gräfin Julia, wenig¬<lb/>
&#x017F;tens ihrer Wohnung, wenig&#x017F;tens der Nachricht habhaft<lb/>
zu werden, ob &#x017F;ie in Paris i&#x017F;t oder nicht. Die&#x017F;er Brief<lb/>
kommt auf dem kürze&#x017F;ten Wege zu Dir, er rei&#x017F;'t gewiß<lb/>
&#x017F;chneller als eine Dame. Vor einer Stunde i&#x017F;t Julia<lb/>
abgerei&#x017F;'t; ich trat nach jenem thörichten Ge&#x017F;chwätz Leo¬<lb/>
polds, wobei wir vielfach &#x017F;tehen geblieben waren, ge¬<lb/>
lacht, kurz die Zeit vertrödelt hatten, in den Schloßhof,<lb/>
und hoffte Julien ver&#x017F;chämt aber liebevoll im Ge&#x017F;ell&#x017F;chatfs¬<lb/>
&#x017F;aale zu finden &#x2014; da fliegt Juliens Rei&#x017F;ewagen über<lb/>
die jen&#x017F;eitige Brücke, die vier Pferde wiehern wie hohn¬<lb/>
lachend und ziehen die Beute im ge&#x017F;treckten Trabe von<lb/>
dannen &#x2014; alle Muskeln &#x017F;chwellen mir, ich &#x017F;tarre wie<lb/>
ein zürnendes Steinbild hin, tau&#x017F;end Leiden&#x017F;chaften dro¬<lb/>
hen mich zu zer&#x017F;prengen &#x2014; da wendet &#x017F;ich ein Kopf<lb/>
aus dem Wagen; ich erkenne Julien, &#x017F;ie winkt Ab&#x017F;chied<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[100/0112] 29. Hyppolit an Constantin. Jag' Deine Augen Carrière durch dieſe Zeilen. Sobald Du am Ende biſt, eil' an die Thore nach Teutſch¬ land zu, gieb Aufträge, beſchreibe, unterrichte, verſprich Belohnungen — thu Alles, um der Gräfin Julia, wenig¬ ſtens ihrer Wohnung, wenigſtens der Nachricht habhaft zu werden, ob ſie in Paris iſt oder nicht. Dieſer Brief kommt auf dem kürzeſten Wege zu Dir, er reiſ't gewiß ſchneller als eine Dame. Vor einer Stunde iſt Julia abgereiſ't; ich trat nach jenem thörichten Geſchwätz Leo¬ polds, wobei wir vielfach ſtehen geblieben waren, ge¬ lacht, kurz die Zeit vertrödelt hatten, in den Schloßhof, und hoffte Julien verſchämt aber liebevoll im Geſellſchatfs¬ ſaale zu finden — da fliegt Juliens Reiſewagen über die jenſeitige Brücke, die vier Pferde wiehern wie hohn¬ lachend und ziehen die Beute im geſtreckten Trabe von dannen — alle Muskeln ſchwellen mir, ich ſtarre wie ein zürnendes Steinbild hin, tauſend Leidenſchaften dro¬ hen mich zu zerſprengen — da wendet ſich ein Kopf aus dem Wagen; ich erkenne Julien, ſie winkt Abſchied

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0102_1833
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0102_1833/112
Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 2. Leipzig, 1833, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0102_1833/112>, abgerufen am 22.12.2024.