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Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 1. Leipzig, 1833.

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hinein: darin, ja, ja, ich glaube, darin ruht die Herr¬
schermacht und man streckt die Waffen. Er scheint
unglücklich zu sein, es dämmert solch eine melancholische
Racht um das große graue Auge, und wenn er etwas
Wehmüthiges spricht, so ist es unbeschreiblich rührend.
Er ist gar nicht hübsch, und als er das erste Mal in
unsern Gesellschaftssaal trat mit seinen kurzen leichten
Schritten, seinen kurzen Begrüßungsworten, seinen spar¬
samen Verbeugungen, die man kaum angedeutete nen¬
nen möchte, hatte er etwas Schreckhaftes für mich und
Alberta. Erst allmählig wurden wir frei in seiner Ge¬
genwart; aber dann war es auch, als sei es etwas beson¬
ders Edles, womit wir uns beschäftigten, als wir das
von ihm eingeleitete Gespräch fortführen halfen. Und
wenn er spricht, so fühlt man sich in einer so wohligen,
sichern Befriedigung, er hat ein sehr angenehmes, fest
männliches Baritonorgan. Uebrigens schweigt er sehr
viel, aber es ist als ob er im Zuhören redete. Er ist
von mittler Größe, fest und sicher gewachsen und eben
so fest und sicher in seinen Bewegungen, ich möchte sa¬
gen ernst, aber doch keinesweges schwerfällig oder gar
plump. An seinem Gesichte ist gar nichts Besonderes,
es ist blaß, fast krank, doch hat der Mund etwas äu¬

hinein: darin, ja, ja, ich glaube, darin ruht die Herr¬
ſchermacht und man ſtreckt die Waffen. Er ſcheint
unglücklich zu ſein, es dämmert ſolch eine melancholiſche
Racht um das große graue Auge, und wenn er etwas
Wehmüthiges ſpricht, ſo iſt es unbeſchreiblich rührend.
Er iſt gar nicht hübſch, und als er das erſte Mal in
unſern Geſellſchaftsſaal trat mit ſeinen kurzen leichten
Schritten, ſeinen kurzen Begrüßungsworten, ſeinen ſpar¬
ſamen Verbeugungen, die man kaum angedeutete nen¬
nen möchte, hatte er etwas Schreckhaftes für mich und
Alberta. Erſt allmählig wurden wir frei in ſeiner Ge¬
genwart; aber dann war es auch, als ſei es etwas beſon¬
ders Edles, womit wir uns beſchäftigten, als wir das
von ihm eingeleitete Geſpräch fortführen halfen. Und
wenn er ſpricht, ſo fühlt man ſich in einer ſo wohligen,
ſichern Befriedigung, er hat ein ſehr angenehmes, feſt
männliches Baritonorgan. Uebrigens ſchweigt er ſehr
viel, aber es iſt als ob er im Zuhören redete. Er iſt
von mittler Größe, feſt und ſicher gewachſen und eben
ſo feſt und ſicher in ſeinen Bewegungen, ich möchte ſa¬
gen ernſt, aber doch keinesweges ſchwerfällig oder gar
plump. An ſeinem Geſichte iſt gar nichts Beſonderes,
es iſt blaß, faſt krank, doch hat der Mund etwas äu¬

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[77/0087] hinein: darin, ja, ja, ich glaube, darin ruht die Herr¬ ſchermacht und man ſtreckt die Waffen. Er ſcheint unglücklich zu ſein, es dämmert ſolch eine melancholiſche Racht um das große graue Auge, und wenn er etwas Wehmüthiges ſpricht, ſo iſt es unbeſchreiblich rührend. Er iſt gar nicht hübſch, und als er das erſte Mal in unſern Geſellſchaftsſaal trat mit ſeinen kurzen leichten Schritten, ſeinen kurzen Begrüßungsworten, ſeinen ſpar¬ ſamen Verbeugungen, die man kaum angedeutete nen¬ nen möchte, hatte er etwas Schreckhaftes für mich und Alberta. Erſt allmählig wurden wir frei in ſeiner Ge¬ genwart; aber dann war es auch, als ſei es etwas beſon¬ ders Edles, womit wir uns beſchäftigten, als wir das von ihm eingeleitete Geſpräch fortführen halfen. Und wenn er ſpricht, ſo fühlt man ſich in einer ſo wohligen, ſichern Befriedigung, er hat ein ſehr angenehmes, feſt männliches Baritonorgan. Uebrigens ſchweigt er ſehr viel, aber es iſt als ob er im Zuhören redete. Er iſt von mittler Größe, feſt und ſicher gewachſen und eben ſo feſt und ſicher in ſeinen Bewegungen, ich möchte ſa¬ gen ernſt, aber doch keinesweges ſchwerfällig oder gar plump. An ſeinem Geſichte iſt gar nichts Beſonderes, es iſt blaß, faſt krank, doch hat der Mund etwas äu¬

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Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 1. Leipzig, 1833, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0101_1833/87>, abgerufen am 24.11.2024.