vergessen. Darum verstehst Du auch die poetische Na¬ turanschauung Heine's nicht -- es ist eine streng demo¬ kratische: er läßt nichts unbeachtet liegen, was einmal da ist; Ihr esoterischen Sublimritter habt aber ein ge¬ wisses Register poetischer Gegenstände. Es ist Alles poe¬ tisch oder nichts -- es kommt nur auf das Glas an, womit man's betrachtet. Euch ist es unerhört, daß ein Knabe im Gedicht "angeln und pfeifen" kann; Ihr habt eine prüde Poesie. Natürlich könnt Ihr auch die kleinen poetischen Gemälde nicht verstehen, weil Ihr keine Bilder ohne Unterschrift wollt. Consequent setzt Ihr auch die schönen Uhlandschen Balladen und Romanzen den breit erklärenden Schillerschen nach. Ich thu na¬ türlich das Gegentheil. Daß das Gedicht mitten im Klange aufhören und darum den höchsten Werth haben könne, wenn es auf eine schöne Weise die Saiten des Lesers tönend angeschlagen habe, begreift Ihr nicht. Wie es bebt und rauscht und klingt, nachdem Ihr das Gedicht zu End gelesen und seinen Flügelschlägen nach¬ lauscht -- das ist Euch zu unbefriedigend, Ihr wollt die Flügel so lange sehn, bis sie am Boden liegen. Ihr seid Philister. Alles Ende ist prosaisch -- ein Ge¬ dicht, dessen Schluß den Raum des Gedichts offen läßt,
vergeſſen. Darum verſtehſt Du auch die poetiſche Na¬ turanſchauung Heine's nicht — es iſt eine ſtreng demo¬ kratiſche: er läßt nichts unbeachtet liegen, was einmal da iſt; Ihr eſoteriſchen Sublimritter habt aber ein ge¬ wiſſes Regiſter poetiſcher Gegenſtände. Es iſt Alles poe¬ tiſch oder nichts — es kommt nur auf das Glas an, womit man's betrachtet. Euch iſt es unerhört, daß ein Knabe im Gedicht „angeln und pfeifen“ kann; Ihr habt eine prüde Poeſie. Natürlich könnt Ihr auch die kleinen poetiſchen Gemälde nicht verſtehen, weil Ihr keine Bilder ohne Unterſchrift wollt. Conſequent ſetzt Ihr auch die ſchönen Uhlandſchen Balladen und Romanzen den breit erklärenden Schillerſchen nach. Ich thu na¬ türlich das Gegentheil. Daß das Gedicht mitten im Klange aufhören und darum den höchſten Werth haben könne, wenn es auf eine ſchöne Weiſe die Saiten des Leſers tönend angeſchlagen habe, begreift Ihr nicht. Wie es bebt und rauſcht und klingt, nachdem Ihr das Gedicht zu End geleſen und ſeinen Flügelſchlägen nach¬ lauſcht — das iſt Euch zu unbefriedigend, Ihr wollt die Flügel ſo lange ſehn, bis ſie am Boden liegen. Ihr ſeid Philiſter. Alles Ende iſt proſaiſch — ein Ge¬ dicht, deſſen Schluß den Raum des Gedichts offen läßt,
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0050"n="40"/>
vergeſſen. Darum verſtehſt Du auch die poetiſche Na¬<lb/>
turanſchauung Heine's nicht — es iſt eine ſtreng demo¬<lb/>
kratiſche: er läßt nichts unbeachtet liegen, was einmal<lb/>
da iſt; Ihr eſoteriſchen Sublimritter habt aber ein ge¬<lb/>
wiſſes Regiſter poetiſcher Gegenſtände. Es iſt Alles poe¬<lb/>
tiſch oder nichts — es kommt nur auf das Glas an,<lb/>
womit man's betrachtet. Euch iſt es unerhört, daß<lb/>
ein Knabe im Gedicht „angeln und pfeifen“ kann; Ihr<lb/>
habt eine prüde Poeſie. Natürlich könnt Ihr auch die<lb/>
kleinen poetiſchen Gemälde nicht verſtehen, weil Ihr keine<lb/>
Bilder ohne Unterſchrift wollt. Conſequent ſetzt Ihr<lb/>
auch die ſchönen Uhlandſchen Balladen und Romanzen<lb/>
den breit erklärenden Schillerſchen nach. Ich thu na¬<lb/>
türlich das Gegentheil. Daß das Gedicht mitten im<lb/>
Klange aufhören und darum den höchſten Werth haben<lb/>
könne, wenn es auf eine ſchöne Weiſe die Saiten des<lb/>
Leſers tönend angeſchlagen habe, begreift Ihr nicht.<lb/>
Wie es bebt und rauſcht und klingt, nachdem Ihr das<lb/>
Gedicht zu End geleſen und ſeinen Flügelſchlägen nach¬<lb/>
lauſcht — das iſt Euch zu unbefriedigend, Ihr wollt<lb/>
die Flügel ſo lange ſehn, bis ſie am Boden liegen.<lb/>
Ihr ſeid Philiſter. Alles Ende iſt proſaiſch — ein Ge¬<lb/>
dicht, deſſen Schluß den Raum des Gedichts offen läßt,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[40/0050]
vergeſſen. Darum verſtehſt Du auch die poetiſche Na¬
turanſchauung Heine's nicht — es iſt eine ſtreng demo¬
kratiſche: er läßt nichts unbeachtet liegen, was einmal
da iſt; Ihr eſoteriſchen Sublimritter habt aber ein ge¬
wiſſes Regiſter poetiſcher Gegenſtände. Es iſt Alles poe¬
tiſch oder nichts — es kommt nur auf das Glas an,
womit man's betrachtet. Euch iſt es unerhört, daß
ein Knabe im Gedicht „angeln und pfeifen“ kann; Ihr
habt eine prüde Poeſie. Natürlich könnt Ihr auch die
kleinen poetiſchen Gemälde nicht verſtehen, weil Ihr keine
Bilder ohne Unterſchrift wollt. Conſequent ſetzt Ihr
auch die ſchönen Uhlandſchen Balladen und Romanzen
den breit erklärenden Schillerſchen nach. Ich thu na¬
türlich das Gegentheil. Daß das Gedicht mitten im
Klange aufhören und darum den höchſten Werth haben
könne, wenn es auf eine ſchöne Weiſe die Saiten des
Leſers tönend angeſchlagen habe, begreift Ihr nicht.
Wie es bebt und rauſcht und klingt, nachdem Ihr das
Gedicht zu End geleſen und ſeinen Flügelſchlägen nach¬
lauſcht — das iſt Euch zu unbefriedigend, Ihr wollt
die Flügel ſo lange ſehn, bis ſie am Boden liegen.
Ihr ſeid Philiſter. Alles Ende iſt proſaiſch — ein Ge¬
dicht, deſſen Schluß den Raum des Gedichts offen läßt,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 1. Leipzig, 1833, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0101_1833/50>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.