über Indien, Aegypten, die Wiegen des Menschenge¬ schlechts, wir wurden schnell mit einander bekannt. Er war dabei ein fröhliches, lustiges Gemüth; wir zogen zu¬ sammen nach Paris, er studirte und lebte, mit den schwerfälligen Sätzen der Professoren spielte er wie mit bekannten Bällen, mit der Gelehrsamkeit des alten Abbe Remusat sprang er wie mit einem leichtfüßigen Mädchen herum, mit den Mädchen tändelte er wie mit Buchsta¬ ben, wie mit längst gelös'ten Hieroglyphen; er fand den Schlüssel zur stolzesten Pyramidenschrift. Des Abends fanden wir uns im Theater, und von da durchstrichen wir die Salons, und rasteten in manchem stillen ver¬ führerischen Gemache. Wo er auftrat, der Sohn des Prometheus mit dem leuchtenden Siegel der Gottheit auf der stolzen Stirn, zog er die Blicke auf sich. Sein Körper ist ein Meisterstück der Natur und Tausende, die ihn sehen, werden zu gerechten Anklagen der launischen Göttin bewogen. Als ich den Cornel las, dachte ich mir den Alcibiades so. Ein hoher Wuchs, leicht wie ein Gedanke, kräftig wie ein fester Gedanke, getragen durch die Wellen der Hüften und Schultern, dunkles, kühn um die Schläfe fallendes, an den Spitzen gelocktes reiches Haar, ein dunkelblaues Auge, am Tage tiefblau
über Indien, Aegypten, die Wiegen des Menſchenge¬ ſchlechts, wir wurden ſchnell mit einander bekannt. Er war dabei ein fröhliches, luſtiges Gemüth; wir zogen zu¬ ſammen nach Paris, er ſtudirte und lebte, mit den ſchwerfälligen Sätzen der Profeſſoren ſpielte er wie mit bekannten Bällen, mit der Gelehrſamkeit des alten Abbé Remuſat ſprang er wie mit einem leichtfüßigen Mädchen herum, mit den Mädchen tändelte er wie mit Buchſta¬ ben, wie mit längſt gelöſ'ten Hieroglyphen; er fand den Schlüſſel zur ſtolzeſten Pyramidenſchrift. Des Abends fanden wir uns im Theater, und von da durchſtrichen wir die Salons, und raſteten in manchem ſtillen ver¬ führeriſchen Gemache. Wo er auftrat, der Sohn des Prometheus mit dem leuchtenden Siegel der Gottheit auf der ſtolzen Stirn, zog er die Blicke auf ſich. Sein Körper iſt ein Meiſterſtück der Natur und Tauſende, die ihn ſehen, werden zu gerechten Anklagen der launiſchen Göttin bewogen. Als ich den Cornel las, dachte ich mir den Alcibiades ſo. Ein hoher Wuchs, leicht wie ein Gedanke, kräftig wie ein feſter Gedanke, getragen durch die Wellen der Hüften und Schultern, dunkles, kühn um die Schläfe fallendes, an den Spitzen gelocktes reiches Haar, ein dunkelblaues Auge, am Tage tiefblau
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über Indien, Aegypten, die Wiegen des Menſchenge¬
ſchlechts, wir wurden ſchnell mit einander bekannt. Er
war dabei ein fröhliches, luſtiges Gemüth; wir zogen zu¬
ſammen nach Paris, er ſtudirte und lebte, mit den
ſchwerfälligen Sätzen der Profeſſoren ſpielte er wie mit
bekannten Bällen, mit der Gelehrſamkeit des alten Abbé
Remuſat ſprang er wie mit einem leichtfüßigen Mädchen
herum, mit den Mädchen tändelte er wie mit Buchſta¬
ben, wie mit längſt gelöſ'ten Hieroglyphen; er fand den
Schlüſſel zur ſtolzeſten Pyramidenſchrift. Des Abends
fanden wir uns im Theater, und von da durchſtrichen
wir die Salons, und raſteten in manchem ſtillen ver¬
führeriſchen Gemache. Wo er auftrat, der Sohn des
Prometheus mit dem leuchtenden Siegel der Gottheit
auf der ſtolzen Stirn, zog er die Blicke auf ſich. Sein
Körper iſt ein Meiſterſtück der Natur und Tauſende, die
ihn ſehen, werden zu gerechten Anklagen der launiſchen
Göttin bewogen. Als ich den Cornel las, dachte ich
mir den Alcibiades ſo. Ein hoher Wuchs, leicht wie
ein Gedanke, kräftig wie ein feſter Gedanke, getragen
durch die Wellen der Hüften und Schultern, dunkles,
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Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 1. Leipzig, 1833, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0101_1833/163>, abgerufen am 16.02.2025.
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