sagte: "Es kann mir doch Niemand wehren Dich zu lieben." -- Das überwältigte meinen harten Menschen. Das Wasser trat mir in die Augen, zum ersten Male, seit ich vor zehn Jahren in Valencia von meiner Mut¬ ter schied; ich schlug meinen gesunden Arm in ihr offnes Kleid und preßte ihre Schulter zu mir und hob mit dem andern Arme ihr Gesicht an das meine, und küßte sie, daß wir Beide zitterten. "Hyppolit" -- stöhnte sie -- "mein Engel, Dein Arm, Dein Arm!" Und als ich ihre Schulter leiser faßte, da sank sie mit dem Haupt an meine Brust und sah zu mir auf und lächelte wie ein sterbender Engel und sagte: "Das ist der Himmel, Du meine Seele." -- --
Laß mich aufhören, Freund, dies ist die einzige Lie¬ besgeschichte, die ich mit Schmerz, wenn auch mit süßem Schmerz, erzähle. Sie hat mein innerstes Herz erweicht.
Viele Tage und Nächte gingen vorüber, ich war auf jenem Gartenhause und saß vor ihr am Boden, und legte das Haupt in ihren Schooß, und sah in den her¬ abschauenden Himmel ihrer Augen. Was der Kokette¬ rie, der Kraft, Größe, Schönheit nie gelungen war, das gelang der Seele dieses Weibes: ich liebte wie ein Knabe, wie ein hüpfender Jüngling. Erst ei¬
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ſagte: „Es kann mir doch Niemand wehren Dich zu lieben.“ — Das überwältigte meinen harten Menſchen. Das Waſſer trat mir in die Augen, zum erſten Male, ſeit ich vor zehn Jahren in Valencia von meiner Mut¬ ter ſchied; ich ſchlug meinen geſunden Arm in ihr offnes Kleid und preßte ihre Schulter zu mir und hob mit dem andern Arme ihr Geſicht an das meine, und küßte ſie, daß wir Beide zitterten. „Hyppolit“ — ſtöhnte ſie — „mein Engel, Dein Arm, Dein Arm!“ Und als ich ihre Schulter leiſer faßte, da ſank ſie mit dem Haupt an meine Bruſt und ſah zu mir auf und lächelte wie ein ſterbender Engel und ſagte: „Das iſt der Himmel, Du meine Seele.“ — —
Laß mich aufhören, Freund, dies iſt die einzige Lie¬ besgeſchichte, die ich mit Schmerz, wenn auch mit ſüßem Schmerz, erzähle. Sie hat mein innerſtes Herz erweicht.
Viele Tage und Nächte gingen vorüber, ich war auf jenem Gartenhauſe und ſaß vor ihr am Boden, und legte das Haupt in ihren Schooß, und ſah in den her¬ abſchauenden Himmel ihrer Augen. Was der Kokette¬ rie, der Kraft, Größe, Schönheit nie gelungen war, das gelang der Seele dieſes Weibes: ich liebte wie ein Knabe, wie ein hüpfender Jüngling. Erſt ei¬
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ſagte: „Es kann mir doch Niemand wehren Dich zu
lieben.“ — Das überwältigte meinen harten Menſchen.
Das Waſſer trat mir in die Augen, zum erſten Male,
ſeit ich vor zehn Jahren in Valencia von meiner Mut¬
ter ſchied; ich ſchlug meinen geſunden Arm in ihr offnes
Kleid und preßte ihre Schulter zu mir und hob mit dem
andern Arme ihr Geſicht an das meine, und küßte ſie,
daß wir Beide zitterten. „Hyppolit“ — ſtöhnte ſie —
„mein Engel, Dein Arm, Dein Arm!“ Und als ich
ihre Schulter leiſer faßte, da ſank ſie mit dem Haupt an
meine Bruſt und ſah zu mir auf und lächelte wie ein
ſterbender Engel und ſagte: „Das iſt der Himmel, Du
meine Seele.“ — —
Laß mich aufhören, Freund, dies iſt die einzige Lie¬
besgeſchichte, die ich mit Schmerz, wenn auch mit ſüßem
Schmerz, erzähle. Sie hat mein innerſtes Herz erweicht.
Viele Tage und Nächte gingen vorüber, ich war
auf jenem Gartenhauſe und ſaß vor ihr am Boden, und
legte das Haupt in ihren Schooß, und ſah in den her¬
abſchauenden Himmel ihrer Augen. Was der Kokette¬
rie, der Kraft, Größe, Schönheit nie gelungen war,
das gelang der Seele dieſes Weibes: ich liebte wie
ein Knabe, wie ein hüpfender Jüngling. Erſt ei¬
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Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 1. Leipzig, 1833, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0101_1833/155>, abgerufen am 16.07.2024.
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