Wir verdanken die Entdeckung der Sprache und Schrift der Ameisen den Bemühungen des be- rühmten Entomologen Antenna. Bekanntlich leben in den Gemeinden dieser hochorganisierten Tiere nicht bloß Männ- chen, Weibchen, geschlechtslose Arbeiter und sog. Krieger oder Führer mit größeren Köpfen, sondern auch Haus- tiere, insbesondere ein kleiner Käfer (Claviger), von welchem man nicht wußte, welche Bedeutung er für die Ameisen besitzt. Antenna ist es gelungen nachzuweisen, daß dieser Käfer die lebendige Bibliothek der Ameisen vorstellt. Die Sinneswahrnehmungen der Ameisen beruhen auf Ätherwellen von 800 bis 2000 Billionen Schwingungen in der Sekunde, deren Geschwindigkeit somit jenseits der- jenigen liegt, welche für unser Auge als Licht wahrnehmbar sind. Antenna ermöglichte es, durch ein Fluorescenz- Mikroskop jene Ätherschwingungen so zu verlangsamen, daß sie für unsere Sinneswerkzeuge bemerkbar werden. Dadurch zeigte er, daß die Ameisen gegenseitig in einer Fühlersprache verkehren, die er Chemisieren oder Über- tasten nennt, und daß sie dieselbe, ähnlich wie wir
Aus dem Tagebuche einer Ameiſe.
Vorbemerkung.
Wir verdanken die Entdeckung der Sprache und Schrift der Ameiſen den Bemühungen des be- rühmten Entomologen Antenna. Bekanntlich leben in den Gemeinden dieſer hochorganiſierten Tiere nicht bloß Männ- chen, Weibchen, geſchlechtsloſe Arbeiter und ſog. Krieger oder Führer mit größeren Köpfen, ſondern auch Haus- tiere, insbeſondere ein kleiner Käfer (Claviger), von welchem man nicht wußte, welche Bedeutung er für die Ameiſen beſitzt. Antenna iſt es gelungen nachzuweiſen, daß dieſer Käfer die lebendige Bibliothek der Ameiſen vorſtellt. Die Sinneswahrnehmungen der Ameiſen beruhen auf Ätherwellen von 800 bis 2000 Billionen Schwingungen in der Sekunde, deren Geſchwindigkeit ſomit jenſeits der- jenigen liegt, welche für unſer Auge als Licht wahrnehmbar ſind. Antenna ermöglichte es, durch ein Fluoreſcenz- Mikroſkop jene Ätherſchwingungen ſo zu verlangſamen, daß ſie für unſere Sinneswerkzeuge bemerkbar werden. Dadurch zeigte er, daß die Ameiſen gegenſeitig in einer Fühlerſprache verkehren, die er Chemiſieren oder Über- taſten nennt, und daß ſie dieſelbe, ähnlich wie wir
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[[78]/0084]
Aus dem
Tagebuche einer Ameiſe.
Vorbemerkung.
Wir verdanken die Entdeckung der Sprache und
Schrift der Ameiſen den Bemühungen des be-
rühmten Entomologen Antenna. Bekanntlich leben in den
Gemeinden dieſer hochorganiſierten Tiere nicht bloß Männ-
chen, Weibchen, geſchlechtsloſe Arbeiter und ſog. Krieger
oder Führer mit größeren Köpfen, ſondern auch Haus-
tiere, insbeſondere ein kleiner Käfer (Claviger), von welchem
man nicht wußte, welche Bedeutung er für die Ameiſen
beſitzt. Antenna iſt es gelungen nachzuweiſen, daß dieſer
Käfer die lebendige Bibliothek der Ameiſen vorſtellt.
Die Sinneswahrnehmungen der Ameiſen beruhen auf
Ätherwellen von 800 bis 2000 Billionen Schwingungen
in der Sekunde, deren Geſchwindigkeit ſomit jenſeits der-
jenigen liegt, welche für unſer Auge als Licht wahrnehmbar
ſind. Antenna ermöglichte es, durch ein Fluoreſcenz-
Mikroſkop jene Ätherſchwingungen ſo zu verlangſamen,
daß ſie für unſere Sinneswerkzeuge bemerkbar werden.
Dadurch zeigte er, daß die Ameiſen gegenſeitig in einer
Fühlerſprache verkehren, die er Chemiſieren oder Über-
taſten nennt, und daß ſie dieſelbe, ähnlich wie wir
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Laßwitz, Kurd: Seifenblasen. Hamburg, 1890, S. [78]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_seife_1890/84>, abgerufen am 19.07.2024.
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