"Würden Sie sich fürchten?" fragte sie meine Frau.
"Aber Du thust wahrhaftig," sagte Alander über die Jnschrift gebeugt, "als wenn es je einen Aladdin und einen Sklaven der Lampe gegeben hätte. Man muß doch den Unsinn nicht übertreiben."
"O bitte," rief ich, "da sind Sie noch sehr in der Kultur zurück, werter Freund! Es ist wahr, bis vor kurzem hielt man die überlieferten Märchen und Geister- geschichten für Produkte der Volksphantasie und für Er- dichtungen, so gut wie die Wunderthaten der Heiligen als mythische Ausschmückungen frommer Verehrung galten, oder die Heilungen im Asklepios-Tempel für Schwindel habgieriger Priester. Aber seitdem wir eine "transscendentale" Psychologie haben, eine Gesellschaft für übersinnliche Experimente und eine Wissenschaft der Mystik -- seitdem Hellseher, Geister-Citationen und Doppelgängerei als unwiderlegbare Thatsachen festgestellt sind, seitdem weiß man auch, daß Menschen wirklich mit ihrem transscendentalen Astralleibe durch die Luft fahren können, und daß Asklepios einer Frau den Kopf wieder angeheilt hat, den man ihr abgeschnitten hatte, um einen Wurm bequemer aus dem Leibe ziehen zu können. Alles, was Altertum und Mittelalter von Wunderdingen und Hexereien erzählen, ist fälschlich für Poesie oder Aberglauben gehalten worden; man weiß jetzt, daß es sich um wissenschaftlich erklärbare That- sachen handelte. Odysseus ist wirklich im Hades ge- wesen und Dante von Virgil durch die Hölle geführt worden. Der heilige Antonius hat gleichzeitig in
Aladdins Wunderlampe.
„Würden Sie ſich fürchten?“ fragte ſie meine Frau.
„Aber Du thuſt wahrhaftig,“ ſagte Alander über die Jnſchrift gebeugt, „als wenn es je einen Aladdin und einen Sklaven der Lampe gegeben hätte. Man muß doch den Unſinn nicht übertreiben.“
„O bitte,“ rief ich, „da ſind Sie noch ſehr in der Kultur zurück, werter Freund! Es iſt wahr, bis vor kurzem hielt man die überlieferten Märchen und Geiſter- geſchichten für Produkte der Volksphantaſie und für Er- dichtungen, ſo gut wie die Wunderthaten der Heiligen als mythiſche Ausſchmückungen frommer Verehrung galten, oder die Heilungen im Asklepios-Tempel für Schwindel habgieriger Prieſter. Aber ſeitdem wir eine „transſcendentale“ Pſychologie haben, eine Geſellſchaft für überſinnliche Experimente und eine Wiſſenſchaft der Myſtik — ſeitdem Hellſeher, Geiſter-Citationen und Doppelgängerei als unwiderlegbare Thatſachen feſtgeſtellt ſind, ſeitdem weiß man auch, daß Menſchen wirklich mit ihrem transſcendentalen Aſtralleibe durch die Luft fahren können, und daß Asklepios einer Frau den Kopf wieder angeheilt hat, den man ihr abgeſchnitten hatte, um einen Wurm bequemer aus dem Leibe ziehen zu können. Alles, was Altertum und Mittelalter von Wunderdingen und Hexereien erzählen, iſt fälſchlich für Poeſie oder Aberglauben gehalten worden; man weiß jetzt, daß es ſich um wiſſenſchaftlich erklärbare That- ſachen handelte. Odyſſeus iſt wirklich im Hades ge- weſen und Dante von Virgil durch die Hölle geführt worden. Der heilige Antonius hat gleichzeitig in
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0068"n="62"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Aladdins Wunderlampe.</hi></fw><lb/><p>„Würden Sie ſich fürchten?“ fragte ſie meine Frau.</p><lb/><p>„Aber Du thuſt wahrhaftig,“ſagte Alander über die<lb/>
Jnſchrift gebeugt, „als wenn es je einen Aladdin und<lb/>
einen Sklaven der Lampe gegeben hätte. Man muß<lb/>
doch den Unſinn nicht übertreiben.“</p><lb/><p>„O bitte,“ rief ich, „da ſind Sie noch ſehr in der<lb/>
Kultur zurück, werter Freund! Es iſt wahr, bis vor<lb/>
kurzem hielt man die überlieferten Märchen und Geiſter-<lb/>
geſchichten für Produkte der Volksphantaſie und für Er-<lb/>
dichtungen, ſo gut wie die Wunderthaten der Heiligen<lb/>
als mythiſche Ausſchmückungen frommer Verehrung<lb/>
galten, oder die Heilungen im Asklepios-Tempel für<lb/>
Schwindel habgieriger Prieſter. Aber ſeitdem wir eine<lb/>„transſcendentale“ Pſychologie haben, eine Geſellſchaft<lb/>
für überſinnliche Experimente und eine Wiſſenſchaft der<lb/>
Myſtik —ſeitdem Hellſeher, Geiſter-Citationen und<lb/>
Doppelgängerei als unwiderlegbare Thatſachen feſtgeſtellt<lb/>ſind, ſeitdem weiß man auch, daß Menſchen wirklich<lb/>
mit ihrem transſcendentalen Aſtralleibe durch die Luft<lb/>
fahren können, und daß Asklepios einer Frau den Kopf<lb/>
wieder angeheilt hat, den man ihr abgeſchnitten hatte,<lb/>
um einen Wurm bequemer aus dem Leibe ziehen zu<lb/>
können. Alles, was Altertum und Mittelalter von<lb/>
Wunderdingen und Hexereien erzählen, iſt fälſchlich für<lb/>
Poeſie oder Aberglauben gehalten worden; man weiß<lb/>
jetzt, daß es ſich um wiſſenſchaftlich erklärbare That-<lb/>ſachen handelte. Odyſſeus iſt wirklich im Hades ge-<lb/>
weſen und Dante von Virgil durch die Hölle geführt<lb/>
worden. Der heilige Antonius hat gleichzeitig in<lb/></p></div></body></text></TEI>
[62/0068]
Aladdins Wunderlampe.
„Würden Sie ſich fürchten?“ fragte ſie meine Frau.
„Aber Du thuſt wahrhaftig,“ ſagte Alander über die
Jnſchrift gebeugt, „als wenn es je einen Aladdin und
einen Sklaven der Lampe gegeben hätte. Man muß
doch den Unſinn nicht übertreiben.“
„O bitte,“ rief ich, „da ſind Sie noch ſehr in der
Kultur zurück, werter Freund! Es iſt wahr, bis vor
kurzem hielt man die überlieferten Märchen und Geiſter-
geſchichten für Produkte der Volksphantaſie und für Er-
dichtungen, ſo gut wie die Wunderthaten der Heiligen
als mythiſche Ausſchmückungen frommer Verehrung
galten, oder die Heilungen im Asklepios-Tempel für
Schwindel habgieriger Prieſter. Aber ſeitdem wir eine
„transſcendentale“ Pſychologie haben, eine Geſellſchaft
für überſinnliche Experimente und eine Wiſſenſchaft der
Myſtik — ſeitdem Hellſeher, Geiſter-Citationen und
Doppelgängerei als unwiderlegbare Thatſachen feſtgeſtellt
ſind, ſeitdem weiß man auch, daß Menſchen wirklich
mit ihrem transſcendentalen Aſtralleibe durch die Luft
fahren können, und daß Asklepios einer Frau den Kopf
wieder angeheilt hat, den man ihr abgeſchnitten hatte,
um einen Wurm bequemer aus dem Leibe ziehen zu
können. Alles, was Altertum und Mittelalter von
Wunderdingen und Hexereien erzählen, iſt fälſchlich für
Poeſie oder Aberglauben gehalten worden; man weiß
jetzt, daß es ſich um wiſſenſchaftlich erklärbare That-
ſachen handelte. Odyſſeus iſt wirklich im Hades ge-
weſen und Dante von Virgil durch die Hölle geführt
worden. Der heilige Antonius hat gleichzeitig in
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Laßwitz, Kurd: Seifenblasen. Hamburg, 1890, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_seife_1890/68>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.