Geschichte der übrigen Menschheit gekümmert. Wir senden alle zehn Jahre einen Erwählten nach Europa, die Zeitverhältnisse zu studieren. Jch war der Letzte, der drüben war, und dabei lernten wir uns kennen. Wir verschweigen die Existenz unseres Staates, denn wir würden nicht verstanden werden und wollen nicht gestört sein."
"Und fürchtet Jhr nicht," fragte ich, "daß Europäer Euch entdecken, daß sie Eure kleine Jnsel in Besitz nehmen und Eure Freiheit unterdrücken?" Mein Freund lächelte wieder. "Jch sehe," sagte er, "Du hast unser Wesen noch immer nicht begriffen. Frage Dich doch, konntest Du dem Winke des Apoikiers widerstehen, der Dich zur Stadt führte? So wenig, als der Ehrliche das Unrecht zu wollen vermag. Deine Gefährten haben wir auf- gegriffen, das Schiff selbst vorläufig weggenommen, um zum Vergnügen der Einwohner, welche die Stadt nicht verlassen, ihnen die fremden Barbaren zu zeigen. Wir werden Euch wieder freigeben, Jhr mögt nach Europa zurückkehren. Wir werden wollen, daß Deinen Gefährten jede Erinnerung an dieses Land verschwindet; keiner wird imstande sein zu erzählen, daß er unsere Jnsel gesehen. Du allein magst eine Ausnahme machen. Du bist nicht Gefangener, sondern Gastfreund. Dich soll nichts binden; aber ich sage Dir im voraus, daß Dir niemand glauben wird. Aber auch dies möge sein; lass' die Kriegsflotte Englands vor unserer Jnsel auf- fahren, lass' die Armeen Europas auf unseren Kalk- spatwällen stehen -- wir werden wollen, und kraft
Apoikis.
Geſchichte der übrigen Menſchheit gekümmert. Wir ſenden alle zehn Jahre einen Erwählten nach Europa, die Zeitverhältniſſe zu ſtudieren. Jch war der Letzte, der drüben war, und dabei lernten wir uns kennen. Wir verſchweigen die Exiſtenz unſeres Staates, denn wir würden nicht verſtanden werden und wollen nicht geſtört ſein.“
„Und fürchtet Jhr nicht,“ fragte ich, „daß Europäer Euch entdecken, daß ſie Eure kleine Jnſel in Beſitz nehmen und Eure Freiheit unterdrücken?“ Mein Freund lächelte wieder. „Jch ſehe,“ ſagte er, „Du haſt unſer Weſen noch immer nicht begriffen. Frage Dich doch, konnteſt Du dem Winke des Apoikiers widerſtehen, der Dich zur Stadt führte? So wenig, als der Ehrliche das Unrecht zu wollen vermag. Deine Gefährten haben wir auf- gegriffen, das Schiff ſelbſt vorläufig weggenommen, um zum Vergnügen der Einwohner, welche die Stadt nicht verlaſſen, ihnen die fremden Barbaren zu zeigen. Wir werden Euch wieder freigeben, Jhr mögt nach Europa zurückkehren. Wir werden wollen, daß Deinen Gefährten jede Erinnerung an dieſes Land verſchwindet; keiner wird imſtande ſein zu erzählen, daß er unſere Jnſel geſehen. Du allein magſt eine Ausnahme machen. Du biſt nicht Gefangener, ſondern Gaſtfreund. Dich ſoll nichts binden; aber ich ſage Dir im voraus, daß Dir niemand glauben wird. Aber auch dies möge ſein; laſſ’ die Kriegsflotte Englands vor unſerer Jnſel auf- fahren, laſſ’ die Armeen Europas auf unſeren Kalk- ſpatwällen ſtehen — wir werden wollen, und kraft
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0060"n="54"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Apoikis.</hi></fw><lb/>
Geſchichte der übrigen Menſchheit gekümmert. Wir<lb/>ſenden alle zehn Jahre einen Erwählten nach Europa,<lb/>
die Zeitverhältniſſe zu ſtudieren. Jch war der Letzte, der<lb/>
drüben war, und dabei lernten wir uns kennen. Wir<lb/>
verſchweigen die Exiſtenz unſeres Staates, denn wir<lb/>
würden nicht verſtanden werden und wollen nicht<lb/>
geſtört ſein.“</p><lb/><p>„Und fürchtet Jhr nicht,“ fragte ich, „daß Europäer<lb/>
Euch entdecken, daß ſie Eure kleine Jnſel in Beſitz nehmen<lb/>
und Eure Freiheit unterdrücken?“ Mein Freund lächelte<lb/>
wieder. „Jch ſehe,“ſagte er, „Du haſt unſer Weſen<lb/>
noch immer nicht begriffen. Frage Dich doch, konnteſt<lb/>
Du dem Winke des Apoikiers widerſtehen, der Dich zur<lb/>
Stadt führte? So wenig, als der Ehrliche das Unrecht<lb/>
zu wollen vermag. Deine Gefährten haben wir auf-<lb/>
gegriffen, das Schiff ſelbſt vorläufig weggenommen, um<lb/>
zum Vergnügen der Einwohner, welche die Stadt nicht<lb/>
verlaſſen, ihnen die fremden Barbaren zu zeigen. Wir<lb/>
werden Euch wieder freigeben, Jhr mögt nach Europa<lb/>
zurückkehren. Wir werden wollen, daß Deinen Gefährten<lb/>
jede Erinnerung an dieſes Land verſchwindet; keiner<lb/>
wird imſtande ſein zu erzählen, daß er unſere Jnſel<lb/>
geſehen. Du allein magſt eine Ausnahme machen. Du<lb/>
biſt nicht Gefangener, ſondern Gaſtfreund. Dich ſoll<lb/>
nichts binden; aber ich ſage Dir im voraus, daß Dir<lb/>
niemand glauben wird. Aber auch dies möge ſein;<lb/>
laſſ’ die Kriegsflotte Englands vor unſerer Jnſel auf-<lb/>
fahren, laſſ’ die Armeen Europas auf unſeren Kalk-<lb/>ſpatwällen ſtehen — wir werden <hirendition="#g">wollen,</hi> und kraft<lb/></p></div></body></text></TEI>
[54/0060]
Apoikis.
Geſchichte der übrigen Menſchheit gekümmert. Wir
ſenden alle zehn Jahre einen Erwählten nach Europa,
die Zeitverhältniſſe zu ſtudieren. Jch war der Letzte, der
drüben war, und dabei lernten wir uns kennen. Wir
verſchweigen die Exiſtenz unſeres Staates, denn wir
würden nicht verſtanden werden und wollen nicht
geſtört ſein.“
„Und fürchtet Jhr nicht,“ fragte ich, „daß Europäer
Euch entdecken, daß ſie Eure kleine Jnſel in Beſitz nehmen
und Eure Freiheit unterdrücken?“ Mein Freund lächelte
wieder. „Jch ſehe,“ ſagte er, „Du haſt unſer Weſen
noch immer nicht begriffen. Frage Dich doch, konnteſt
Du dem Winke des Apoikiers widerſtehen, der Dich zur
Stadt führte? So wenig, als der Ehrliche das Unrecht
zu wollen vermag. Deine Gefährten haben wir auf-
gegriffen, das Schiff ſelbſt vorläufig weggenommen, um
zum Vergnügen der Einwohner, welche die Stadt nicht
verlaſſen, ihnen die fremden Barbaren zu zeigen. Wir
werden Euch wieder freigeben, Jhr mögt nach Europa
zurückkehren. Wir werden wollen, daß Deinen Gefährten
jede Erinnerung an dieſes Land verſchwindet; keiner
wird imſtande ſein zu erzählen, daß er unſere Jnſel
geſehen. Du allein magſt eine Ausnahme machen. Du
biſt nicht Gefangener, ſondern Gaſtfreund. Dich ſoll
nichts binden; aber ich ſage Dir im voraus, daß Dir
niemand glauben wird. Aber auch dies möge ſein;
laſſ’ die Kriegsflotte Englands vor unſerer Jnſel auf-
fahren, laſſ’ die Armeen Europas auf unſeren Kalk-
ſpatwällen ſtehen — wir werden wollen, und kraft
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Laßwitz, Kurd: Seifenblasen. Hamburg, 1890, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_seife_1890/60>, abgerufen am 17.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.