Laßwitz, Kurd: Seifenblasen. Hamburg, 1890.Selbstbiographische Studien. Autor geht tiefer. Er beginnt vor seiner Geburt,meistens schon vor der Geburt seiner Eltern oder Groß- eltern, und in günstigen Fällen vor der Geburt seiner sämtlichen Vorfahren. Jndem man nämlich sich selbst als Erzeugnis einer biologischen Entwickelung auffaßt, wird man seine persönlichen Eigenschaften aus den- jenigen seiner Voreltern zu erkennen vermögen, und dies um so besser, je weniger man von seinen Vorfahren weiß. Dies ist das Geheimnis der genealogisch-historischen Methode, welches ich den Lesern nicht vorenthalten will. Bekanntlich wird der historische Blick um so weiter und erhabener, je größer der über- schaute Umkreis wird; mehr und mehr verschwinden die störenden kleinen und individuellen Züge, und das freie Auge erblickt den bestimmenden Charakter des Ganzen. Jst man nun auf einen so hohen historischen Standpunkt gelangt, daß man von der Wirklichkeit wenig und von seinen Vorfahren garnichts mehr sieht, so hat man erst ein unbefangenes Urteil gewonnen. Man wird jetzt mit Leichtigkeit seine eigenen Charakter- züge in dem Geschick seiner Ahnen bedingt finden, weil diese Ahnen unter dem Gesichtswinkel des Enkels sich zeigen und sich ihm daher anbequemen. Dieser Stand- punkt ist von hohem ethischen Werte: Was unsere Ahnen einst uns gaben, wir geben es ihnen dankbar zurück. Sie erzeugten uns, und wir erzeugen sie wieder. Aber wir sind die besseren; sie erzeugten uns, wie sie mußten, aber wir erzeugen sie, wie wir wollen. Wir können ihnen darum nicht böse sein, sie wußten ja nicht, was Selbſtbiographiſche Studien. Autor geht tiefer. Er beginnt vor ſeiner Geburt,meiſtens ſchon vor der Geburt ſeiner Eltern oder Groß- eltern, und in günſtigen Fällen vor der Geburt ſeiner ſämtlichen Vorfahren. Jndem man nämlich ſich ſelbſt als Erzeugnis einer biologiſchen Entwickelung auffaßt, wird man ſeine perſönlichen Eigenſchaften aus den- jenigen ſeiner Voreltern zu erkennen vermögen, und dies um ſo beſſer, je weniger man von ſeinen Vorfahren weiß. Dies iſt das Geheimnis der genealogiſch-hiſtoriſchen Methode, welches ich den Leſern nicht vorenthalten will. Bekanntlich wird der hiſtoriſche Blick um ſo weiter und erhabener, je größer der über- ſchaute Umkreis wird; mehr und mehr verſchwinden die ſtörenden kleinen und individuellen Züge, und das freie Auge erblickt den beſtimmenden Charakter des Ganzen. Jſt man nun auf einen ſo hohen hiſtoriſchen Standpunkt gelangt, daß man von der Wirklichkeit wenig und von ſeinen Vorfahren garnichts mehr ſieht, ſo hat man erſt ein unbefangenes Urteil gewonnen. Man wird jetzt mit Leichtigkeit ſeine eigenen Charakter- züge in dem Geſchick ſeiner Ahnen bedingt finden, weil dieſe Ahnen unter dem Geſichtswinkel des Enkels ſich zeigen und ſich ihm daher anbequemen. Dieſer Stand- punkt iſt von hohem ethiſchen Werte: Was unſere Ahnen einſt uns gaben, wir geben es ihnen dankbar zurück. Sie erzeugten uns, und wir erzeugen ſie wieder. Aber wir ſind die beſſeren; ſie erzeugten uns, wie ſie mußten, aber wir erzeugen ſie, wie wir wollen. Wir können ihnen darum nicht böſe ſein, ſie wußten ja nicht, was <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0257" n="251"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Selbſtbiographiſche Studien.</hi></fw><lb/> Autor geht tiefer. Er beginnt vor ſeiner Geburt,<lb/> meiſtens ſchon vor der Geburt ſeiner Eltern oder Groß-<lb/> eltern, und in günſtigen Fällen vor der Geburt ſeiner<lb/> ſämtlichen Vorfahren. 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Selbſtbiographiſche Studien.
Autor geht tiefer. Er beginnt vor ſeiner Geburt,
meiſtens ſchon vor der Geburt ſeiner Eltern oder Groß-
eltern, und in günſtigen Fällen vor der Geburt ſeiner
ſämtlichen Vorfahren. Jndem man nämlich ſich ſelbſt
als Erzeugnis einer biologiſchen Entwickelung auffaßt,
wird man ſeine perſönlichen Eigenſchaften aus den-
jenigen ſeiner Voreltern zu erkennen vermögen, und
dies um ſo beſſer, je weniger man von ſeinen
Vorfahren weiß. Dies iſt das Geheimnis der
genealogiſch-hiſtoriſchen Methode, welches ich den Leſern
nicht vorenthalten will. Bekanntlich wird der hiſtoriſche
Blick um ſo weiter und erhabener, je größer der über-
ſchaute Umkreis wird; mehr und mehr verſchwinden
die ſtörenden kleinen und individuellen Züge, und das
freie Auge erblickt den beſtimmenden Charakter des
Ganzen. Jſt man nun auf einen ſo hohen hiſtoriſchen
Standpunkt gelangt, daß man von der Wirklichkeit
wenig und von ſeinen Vorfahren garnichts mehr ſieht,
ſo hat man erſt ein unbefangenes Urteil gewonnen.
Man wird jetzt mit Leichtigkeit ſeine eigenen Charakter-
züge in dem Geſchick ſeiner Ahnen bedingt finden, weil
dieſe Ahnen unter dem Geſichtswinkel des Enkels ſich
zeigen und ſich ihm daher anbequemen. Dieſer Stand-
punkt iſt von hohem ethiſchen Werte: Was unſere Ahnen
einſt uns gaben, wir geben es ihnen dankbar zurück.
Sie erzeugten uns, und wir erzeugen ſie wieder. Aber
wir ſind die beſſeren; ſie erzeugten uns, wie ſie mußten,
aber wir erzeugen ſie, wie wir wollen. Wir können
ihnen darum nicht böſe ſein, ſie wußten ja nicht, was
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