"Jch bin mit einem Seehund befreundet," krächzte der Geisir; "der ist dort oben wohl bewandert; man sagt sogar, er sei ein Organismus, und als solcher --"
"Was ist denn das, ein Organismus?" fragte der Erdgeist.
"Das weiß ich nicht genau, aber jedenfalls etwas sehr Vornehmes; denn er hat Verkehr mit den Zwei- beinern, welche Sie in die Haut gestochen haben."
"Wenn das ist," sagte der Erdgeist, und sah den Geisir wegen seiner hohen Bekanntschaft mit Jnteresse an, "so fragen Sie ihn nur einmal, was sich gegen das Krabbeln und Stechen in meine Rinde thun läßt."
Dabei betrachtete er das abgebrochene Stück des Bohrers näher und bemerkte ein Papier in der Höhlung. Er zog es hervor und entfaltete die Abhandlung von Heino Mirax mit der Widmung: "Herrn Erdrindengeist Lithosphäros hochachtungsvoll der Verfasser." Das gefiel ihm, und er setzte sich sogleich auf sein Sopha, zündete ein Petroleumlager an und las, während die andern weiterkegelten.
Mirax hatte die schöne Eigenschaft so zu schreiben, daß sich jeder bei der Lektüre seiner Aufsätze etwas dachte, und zwar allemal das, was ihm gerade in sein Behagen paßte; das war eben die neue Methode der reformierten Wissenschaft und ihr verdankte er seine Be- liebtheit. So dachte sich auch der Erdgeist das Seine und schmunzelte. Er las die Abhandlung zu Ende, legte sie dann unter seine Steinkohlenpresse und sagte:
Mirax.
„Jch bin mit einem Seehund befreundet,“ krächzte der Geiſir; „der iſt dort oben wohl bewandert; man ſagt ſogar, er ſei ein Organismus, und als ſolcher —“
„Was iſt denn das, ein Organismus?“ fragte der Erdgeiſt.
„Das weiß ich nicht genau, aber jedenfalls etwas ſehr Vornehmes; denn er hat Verkehr mit den Zwei- beinern, welche Sie in die Haut geſtochen haben.“
„Wenn das iſt,“ ſagte der Erdgeiſt, und ſah den Geiſir wegen ſeiner hohen Bekanntſchaft mit Jntereſſe an, „ſo fragen Sie ihn nur einmal, was ſich gegen das Krabbeln und Stechen in meine Rinde thun läßt.“
Dabei betrachtete er das abgebrochene Stück des Bohrers näher und bemerkte ein Papier in der Höhlung. Er zog es hervor und entfaltete die Abhandlung von Heino Mirax mit der Widmung: „Herrn Erdrindengeiſt Lithoſphäros hochachtungsvoll der Verfaſſer.“ Das gefiel ihm, und er ſetzte ſich ſogleich auf ſein Sopha, zündete ein Petroleumlager an und las, während die andern weiterkegelten.
Mirax hatte die ſchöne Eigenſchaft ſo zu ſchreiben, daß ſich jeder bei der Lektüre ſeiner Aufſätze etwas dachte, und zwar allemal das, was ihm gerade in ſein Behagen paßte; das war eben die neue Methode der reformierten Wiſſenſchaft und ihr verdankte er ſeine Be- liebtheit. So dachte ſich auch der Erdgeiſt das Seine und ſchmunzelte. Er las die Abhandlung zu Ende, legte ſie dann unter ſeine Steinkohlenpreſſe und ſagte:
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Mirax.
„Jch bin mit einem Seehund befreundet,“ krächzte
der Geiſir; „der iſt dort oben wohl bewandert; man
ſagt ſogar, er ſei ein Organismus, und als ſolcher —“
„Was iſt denn das, ein Organismus?“ fragte der
Erdgeiſt.
„Das weiß ich nicht genau, aber jedenfalls etwas
ſehr Vornehmes; denn er hat Verkehr mit den Zwei-
beinern, welche Sie in die Haut geſtochen haben.“
„Wenn das iſt,“ ſagte der Erdgeiſt, und ſah den
Geiſir wegen ſeiner hohen Bekanntſchaft mit Jntereſſe
an, „ſo fragen Sie ihn nur einmal, was ſich gegen das
Krabbeln und Stechen in meine Rinde thun läßt.“
Dabei betrachtete er das abgebrochene Stück des
Bohrers näher und bemerkte ein Papier in der Höhlung.
Er zog es hervor und entfaltete die Abhandlung von
Heino Mirax mit der Widmung: „Herrn Erdrindengeiſt
Lithoſphäros hochachtungsvoll der Verfaſſer.“ Das gefiel
ihm, und er ſetzte ſich ſogleich auf ſein Sopha, zündete
ein Petroleumlager an und las, während die andern
weiterkegelten.
Mirax hatte die ſchöne Eigenſchaft ſo zu ſchreiben,
daß ſich jeder bei der Lektüre ſeiner Aufſätze etwas
dachte, und zwar allemal das, was ihm gerade in ſein
Behagen paßte; das war eben die neue Methode der
reformierten Wiſſenſchaft und ihr verdankte er ſeine Be-
liebtheit. So dachte ſich auch der Erdgeiſt das Seine
und ſchmunzelte. Er las die Abhandlung zu Ende,
legte ſie dann unter ſeine Steinkohlenpreſſe und
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Laßwitz, Kurd: Seifenblasen. Hamburg, 1890, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_seife_1890/194>, abgerufen am 22.07.2024.
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