bekannten litterarischen Fehde, in welche dieser mit dem berühmten Philosophen Weißschon über die Anschaulich- keit des reinen Nichts geraten war.
"Kann ein vernünftiger Mensch," so rief Oberwasser entrüstet aus, "es für möglich halten, daß die pure Aufhebung eines Begriffes als solche noch Merkmale der Distinktion innerhalb der Grenzen der Sensibilität, obschon durch bloße Abstraktion gegeben, vermittelst der Negation dieser Abstraktion zur repulsiven Konkretion determiniert, ihrerseits durch Nichtsetzung des Nichtseins erlangen könnte?"
Selbstverständlich erwartete er ein ebenso entrüstetes "nein" aus Schulzes Munde; aber zu aller Erstaunen sagte dieser:
"Allerdings ist das Nichts durchaus positiv, insofern ich es nämlich nicht verneinen kann. Was aber Jhre Abhandlung betrifft, an die ich mit dem größten Ver- gnügen denke, so kann ich nur sagen, daß Sie ebenso Recht haben, wie Weißschon, weil überhaupt alle Urteile aller Menschen unter allen Umständen bejahend sind."
Da stand Oberwasser indigniert auf und ging in der Überzeugung fort, daß Schulze zu viel getrunken habe. Das war nun zwar nicht der Fall, aber es kam noch, als auch die übrigen Kollegen sich davonge- macht hatten. So oft ihn nämlich der Kellner fragte, ob er noch ein Glas befehle, war er nicht in der Lage, nein zu sagen; außerdem schmeckte es ihm vorzüglich. Mit den Vorschlägen der Speisekarte ging es ihm ebenso, leider aber auch beim Bezahlen, da er auf jede Kon-
Pſychotomie.
bekannten litterariſchen Fehde, in welche dieſer mit dem berühmten Philoſophen Weißſchon über die Anſchaulich- keit des reinen Nichts geraten war.
„Kann ein vernünftiger Menſch,“ ſo rief Oberwaſſer entrüſtet aus, „es für möglich halten, daß die pure Aufhebung eines Begriffes als ſolche noch Merkmale der Diſtinktion innerhalb der Grenzen der Senſibilität, obſchon durch bloße Abſtraktion gegeben, vermittelſt der Negation dieſer Abſtraktion zur repulſiven Konkretion determiniert, ihrerſeits durch Nichtſetzung des Nichtſeins erlangen könnte?“
Selbſtverſtändlich erwartete er ein ebenſo entrüſtetes „nein“ aus Schulzes Munde; aber zu aller Erſtaunen ſagte dieſer:
„Allerdings iſt das Nichts durchaus poſitiv, inſofern ich es nämlich nicht verneinen kann. Was aber Jhre Abhandlung betrifft, an die ich mit dem größten Ver- gnügen denke, ſo kann ich nur ſagen, daß Sie ebenſo Recht haben, wie Weißſchon, weil überhaupt alle Urteile aller Menſchen unter allen Umſtänden bejahend ſind.“
Da ſtand Oberwaſſer indigniert auf und ging in der Überzeugung fort, daß Schulze zu viel getrunken habe. Das war nun zwar nicht der Fall, aber es kam noch, als auch die übrigen Kollegen ſich davonge- macht hatten. So oft ihn nämlich der Kellner fragte, ob er noch ein Glas befehle, war er nicht in der Lage, nein zu ſagen; außerdem ſchmeckte es ihm vorzüglich. Mit den Vorſchlägen der Speiſekarte ging es ihm ebenſo, leider aber auch beim Bezahlen, da er auf jede Kon-
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Pſychotomie.
bekannten litterariſchen Fehde, in welche dieſer mit dem
berühmten Philoſophen Weißſchon über die Anſchaulich-
keit des reinen Nichts geraten war.
„Kann ein vernünftiger Menſch,“ ſo rief Oberwaſſer
entrüſtet aus, „es für möglich halten, daß die pure
Aufhebung eines Begriffes als ſolche noch Merkmale der
Diſtinktion innerhalb der Grenzen der Senſibilität,
obſchon durch bloße Abſtraktion gegeben, vermittelſt der
Negation dieſer Abſtraktion zur repulſiven Konkretion
determiniert, ihrerſeits durch Nichtſetzung des Nichtſeins
erlangen könnte?“
Selbſtverſtändlich erwartete er ein ebenſo entrüſtetes
„nein“ aus Schulzes Munde; aber zu aller Erſtaunen
ſagte dieſer:
„Allerdings iſt das Nichts durchaus poſitiv, inſofern
ich es nämlich nicht verneinen kann. Was aber Jhre
Abhandlung betrifft, an die ich mit dem größten Ver-
gnügen denke, ſo kann ich nur ſagen, daß Sie ebenſo
Recht haben, wie Weißſchon, weil überhaupt alle Urteile
aller Menſchen unter allen Umſtänden bejahend ſind.“
Da ſtand Oberwaſſer indigniert auf und ging in
der Überzeugung fort, daß Schulze zu viel getrunken
habe. Das war nun zwar nicht der Fall, aber es
kam noch, als auch die übrigen Kollegen ſich davonge-
macht hatten. So oft ihn nämlich der Kellner fragte,
ob er noch ein Glas befehle, war er nicht in der Lage,
nein zu ſagen; außerdem ſchmeckte es ihm vorzüglich.
Mit den Vorſchlägen der Speiſekarte ging es ihm ebenſo,
leider aber auch beim Bezahlen, da er auf jede Kon-
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Laßwitz, Kurd: Seifenblasen. Hamburg, 1890, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_seife_1890/178>, abgerufen am 22.07.2024.
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