"Gewiß, mit dem größten Vergnügen. Es giebt keine Vorlage, der ich nicht unbedingt zustimme."
"Auch dem neuen Aufschlage zur Kommunalsteuer?"
"Selbstverständlich. Es kann nie Steuern genug geben, denn nichts ist erhebender, nichts erfreulicher, nichts beglückender, als sein Hab und Gut zum Besten der Gemeinsamkeit zu opfern."
"Bravo! Bravo! Jch gehe an meinen Stammtisch in der "Rothen Tulpe"; noch heute sichere ich Jhnen zehn Stimmen. Auf Wiedersehen!"
Der Stadtrat empfahl sich begeistert. Auch Schulze fand den Gedanken an seine akademische Stammecke nicht übel und schlug die bewußte Richtung ein. Er war noch nicht weit gelangt, als er einer Dame begegnete, deren Beredsamkeit er sonst in größerem Bogen auszu- weichen pflegte. Heute kam sie ihm, so weit es die Dunkelheit gestattete, in rosigem Lichte vor. Linolinde v. Zwinkerwitz hatte allerdings Rot aufgelegt. Seit zehn Jahren -- so lange nämlich war Schulze Privatdocent -- behauptete sie, daß er ihr den Hof mache, und ebenso lange zwang sie ihn bei jeder Begegnung zu einer längeren Aussprache. Schulze pflegte zu klagen, er habe auf diese Weise schon zwei ganze Semester ver- loren -- das Semester zu drei Monaten, den Monat zu zwanzig Tagen und den Tag zu anderthalb Stunden gerechnet -- so lange nämlich dauerte sein Kolleg über die Geschichte der griechischen Philosophie vor Sokrates. Jetzt aber war Linolinde ganz entzückt von Schulzes Liebenswürdigkeit, und gerührt gestand sie ihm, daß sie
Pſychotomie.
„Gewiß, mit dem größten Vergnügen. Es giebt keine Vorlage, der ich nicht unbedingt zuſtimme.“
„Auch dem neuen Aufſchlage zur Kommunalſteuer?“
„Selbſtverſtändlich. Es kann nie Steuern genug geben, denn nichts iſt erhebender, nichts erfreulicher, nichts beglückender, als ſein Hab und Gut zum Beſten der Gemeinſamkeit zu opfern.“
„Bravo! Bravo! Jch gehe an meinen Stammtiſch in der „Rothen Tulpe“; noch heute ſichere ich Jhnen zehn Stimmen. Auf Wiederſehen!“
Der Stadtrat empfahl ſich begeiſtert. Auch Schulze fand den Gedanken an ſeine akademiſche Stammecke nicht übel und ſchlug die bewußte Richtung ein. Er war noch nicht weit gelangt, als er einer Dame begegnete, deren Beredſamkeit er ſonſt in größerem Bogen auszu- weichen pflegte. Heute kam ſie ihm, ſo weit es die Dunkelheit geſtattete, in roſigem Lichte vor. Linolinde v. Zwinkerwitz hatte allerdings Rot aufgelegt. Seit zehn Jahren — ſo lange nämlich war Schulze Privatdocent — behauptete ſie, daß er ihr den Hof mache, und ebenſo lange zwang ſie ihn bei jeder Begegnung zu einer längeren Ausſprache. Schulze pflegte zu klagen, er habe auf dieſe Weiſe ſchon zwei ganze Semeſter ver- loren — das Semeſter zu drei Monaten, den Monat zu zwanzig Tagen und den Tag zu anderthalb Stunden gerechnet — ſo lange nämlich dauerte ſein Kolleg über die Geſchichte der griechiſchen Philoſophie vor Sokrates. Jetzt aber war Linolinde ganz entzückt von Schulzes Liebenswürdigkeit, und gerührt geſtand ſie ihm, daß ſie
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0175"n="169"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Pſychotomie.</hi></fw><lb/><p>„Gewiß, mit dem größten Vergnügen. Es giebt<lb/>
keine Vorlage, der ich nicht unbedingt zuſtimme.“</p><lb/><p>„Auch dem neuen Aufſchlage zur Kommunalſteuer?“</p><lb/><p>„Selbſtverſtändlich. Es kann nie Steuern genug<lb/>
geben, denn nichts iſt erhebender, nichts erfreulicher,<lb/>
nichts beglückender, als ſein Hab und Gut zum Beſten<lb/>
der Gemeinſamkeit zu opfern.“</p><lb/><p>„Bravo! Bravo! Jch gehe an meinen Stammtiſch<lb/>
in der „Rothen Tulpe“; noch heute ſichere ich Jhnen<lb/>
zehn Stimmen. Auf Wiederſehen!“</p><lb/><p>Der Stadtrat empfahl ſich begeiſtert. Auch Schulze<lb/>
fand den Gedanken an ſeine akademiſche Stammecke nicht<lb/>
übel und ſchlug die bewußte Richtung ein. Er war<lb/>
noch nicht weit gelangt, als er einer Dame begegnete,<lb/>
deren Beredſamkeit er ſonſt in größerem Bogen auszu-<lb/>
weichen pflegte. Heute kam ſie ihm, ſo weit es die<lb/>
Dunkelheit geſtattete, in roſigem Lichte vor. Linolinde<lb/>
v. Zwinkerwitz hatte allerdings Rot aufgelegt. Seit zehn<lb/>
Jahren —ſo lange nämlich war Schulze Privatdocent<lb/>— behauptete ſie, daß er ihr den Hof mache, und<lb/>
ebenſo lange zwang ſie ihn bei jeder Begegnung zu<lb/>
einer längeren Ausſprache. Schulze pflegte zu klagen,<lb/>
er habe auf dieſe Weiſe ſchon zwei ganze Semeſter ver-<lb/>
loren — das Semeſter zu drei Monaten, den Monat<lb/>
zu zwanzig Tagen und den Tag zu anderthalb Stunden<lb/>
gerechnet —ſo lange nämlich dauerte ſein Kolleg über<lb/>
die Geſchichte der griechiſchen Philoſophie vor Sokrates.<lb/>
Jetzt aber war Linolinde ganz entzückt von Schulzes<lb/>
Liebenswürdigkeit, und gerührt geſtand ſie ihm, daß ſie<lb/></p></div></body></text></TEI>
[169/0175]
Pſychotomie.
„Gewiß, mit dem größten Vergnügen. Es giebt
keine Vorlage, der ich nicht unbedingt zuſtimme.“
„Auch dem neuen Aufſchlage zur Kommunalſteuer?“
„Selbſtverſtändlich. Es kann nie Steuern genug
geben, denn nichts iſt erhebender, nichts erfreulicher,
nichts beglückender, als ſein Hab und Gut zum Beſten
der Gemeinſamkeit zu opfern.“
„Bravo! Bravo! Jch gehe an meinen Stammtiſch
in der „Rothen Tulpe“; noch heute ſichere ich Jhnen
zehn Stimmen. Auf Wiederſehen!“
Der Stadtrat empfahl ſich begeiſtert. Auch Schulze
fand den Gedanken an ſeine akademiſche Stammecke nicht
übel und ſchlug die bewußte Richtung ein. Er war
noch nicht weit gelangt, als er einer Dame begegnete,
deren Beredſamkeit er ſonſt in größerem Bogen auszu-
weichen pflegte. Heute kam ſie ihm, ſo weit es die
Dunkelheit geſtattete, in roſigem Lichte vor. Linolinde
v. Zwinkerwitz hatte allerdings Rot aufgelegt. Seit zehn
Jahren — ſo lange nämlich war Schulze Privatdocent
— behauptete ſie, daß er ihr den Hof mache, und
ebenſo lange zwang ſie ihn bei jeder Begegnung zu
einer längeren Ausſprache. Schulze pflegte zu klagen,
er habe auf dieſe Weiſe ſchon zwei ganze Semeſter ver-
loren — das Semeſter zu drei Monaten, den Monat
zu zwanzig Tagen und den Tag zu anderthalb Stunden
gerechnet — ſo lange nämlich dauerte ſein Kolleg über
die Geſchichte der griechiſchen Philoſophie vor Sokrates.
Jetzt aber war Linolinde ganz entzückt von Schulzes
Liebenswürdigkeit, und gerührt geſtand ſie ihm, daß ſie
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Laßwitz, Kurd: Seifenblasen. Hamburg, 1890, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_seife_1890/175>, abgerufen am 22.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.