Der Stadtrat Billig begegnete ihm, den er oft durch Tadel städtischer Verwaltungsmaßregeln geärgert hatte. Schulze sprach ihn an, begleitete ihn.
"Ein Hundewetter," sagte der Stadtrat. "Diesen Schnee wieder hinauszuschaffen, kostet der Stadt --"
"Freilich," unterbrach ihn Schulze, "das bringt Geld unter die Leute, aber es ist auch ebenso schön, wenn er liegen bleibt. Die Unebenheiten des Pflasters erhöhen durchaus den Reiz der Gegend, und die Ausfüllung derselben mit Schnee ist ein belehrendes Bild für die ausgleichende Thätigkeit der Natur. Jeder Patriot kann es nur billigen, wenn der Naturzustand unserer Stadt erhalten bleibt."
"Jch will nicht hoffen, Herr Doktor, daß Sie Jhren Spott --"
"Herr Stadtrat, ich versichere Sie, daß ich mich durchaus in unseren Verhältnissen wohl fühle. Jch wünschte, jeder Bürger sähe die Notwendigkeit ein, daß die Beschwerden des Weges als Erziehungsmittel der Menschheit zu pflegen sind. Diese Dunkelheit der Straßen schärft die Sinne der Fußgänger und Kutscher, sie kommt nicht bloß der Stadtkasse zugute, sondern unter Umständen auch den Ärzten und Chirurgen. Wie viel Eitelkeit, wie viel Putzsucht, wie viel unnötiger Toilettenaufwand werden dadurch unterdrückt, daß unsere Damen von 4 Uhr an nicht mehr gesehen werden können. Wenn ich Stadtverordneter wäre --"
"Sie müssen es werden, Herr Doktor, Jhre Hand darauf!"
Pſychotomie.
Der Stadtrat Billig begegnete ihm, den er oft durch Tadel ſtädtiſcher Verwaltungsmaßregeln geärgert hatte. Schulze ſprach ihn an, begleitete ihn.
„Ein Hundewetter,“ ſagte der Stadtrat. „Dieſen Schnee wieder hinauszuſchaffen, koſtet der Stadt —“
„Freilich,“ unterbrach ihn Schulze, „das bringt Geld unter die Leute, aber es iſt auch ebenſo ſchön, wenn er liegen bleibt. Die Unebenheiten des Pflaſters erhöhen durchaus den Reiz der Gegend, und die Ausfüllung derſelben mit Schnee iſt ein belehrendes Bild für die ausgleichende Thätigkeit der Natur. Jeder Patriot kann es nur billigen, wenn der Naturzuſtand unſerer Stadt erhalten bleibt.“
„Jch will nicht hoffen, Herr Doktor, daß Sie Jhren Spott —“
„Herr Stadtrat, ich verſichere Sie, daß ich mich durchaus in unſeren Verhältniſſen wohl fühle. Jch wünſchte, jeder Bürger ſähe die Notwendigkeit ein, daß die Beſchwerden des Weges als Erziehungsmittel der Menſchheit zu pflegen ſind. Dieſe Dunkelheit der Straßen ſchärft die Sinne der Fußgänger und Kutſcher, ſie kommt nicht bloß der Stadtkaſſe zugute, ſondern unter Umſtänden auch den Ärzten und Chirurgen. Wie viel Eitelkeit, wie viel Putzſucht, wie viel unnötiger Toilettenaufwand werden dadurch unterdrückt, daß unſere Damen von 4 Uhr an nicht mehr geſehen werden können. Wenn ich Stadtverordneter wäre —“
„Sie müſſen es werden, Herr Doktor, Jhre Hand darauf!“
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Pſychotomie.
Der Stadtrat Billig begegnete ihm, den er oft durch
Tadel ſtädtiſcher Verwaltungsmaßregeln geärgert hatte.
Schulze ſprach ihn an, begleitete ihn.
„Ein Hundewetter,“ ſagte der Stadtrat. „Dieſen
Schnee wieder hinauszuſchaffen, koſtet der Stadt —“
„Freilich,“ unterbrach ihn Schulze, „das bringt Geld
unter die Leute, aber es iſt auch ebenſo ſchön, wenn er
liegen bleibt. Die Unebenheiten des Pflaſters erhöhen
durchaus den Reiz der Gegend, und die Ausfüllung
derſelben mit Schnee iſt ein belehrendes Bild für die
ausgleichende Thätigkeit der Natur. Jeder Patriot kann
es nur billigen, wenn der Naturzuſtand unſerer Stadt
erhalten bleibt.“
„Jch will nicht hoffen, Herr Doktor, daß Sie Jhren
Spott —“
„Herr Stadtrat, ich verſichere Sie, daß ich mich
durchaus in unſeren Verhältniſſen wohl fühle. Jch
wünſchte, jeder Bürger ſähe die Notwendigkeit ein, daß
die Beſchwerden des Weges als Erziehungsmittel der
Menſchheit zu pflegen ſind. Dieſe Dunkelheit der Straßen
ſchärft die Sinne der Fußgänger und Kutſcher, ſie
kommt nicht bloß der Stadtkaſſe zugute, ſondern
unter Umſtänden auch den Ärzten und Chirurgen.
Wie viel Eitelkeit, wie viel Putzſucht, wie viel
unnötiger Toilettenaufwand werden dadurch unterdrückt,
daß unſere Damen von 4 Uhr an nicht mehr geſehen
werden können. Wenn ich Stadtverordneter wäre —“
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Laßwitz, Kurd: Seifenblasen. Hamburg, 1890, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_seife_1890/174>, abgerufen am 22.07.2024.
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