Laßwitz, Kurd: Seifenblasen. Hamburg, 1890.Der Traumfabrikant. abgerissenem Anzuge die Straße fegen zu sehen, dabeiaber auf den Schultern unseres vorgesetzten Kabinetts- chefs spazieren zu reiten; wir versetzen ihm mit unseren Füßen einige Rippenstöße, worauf er eine Tabakspfeife aus der Tasche zieht, in welcher wir unsere treulose Geliebte erkennen; während wir dieselbe in den Armen halten, bemerken wir, daß es unsere in Amerika verstor- bene Erbtante ist, die sich in einen unendlichen Regen heller Sterne auflöst, von denen wir nicht zu erkennen vermögen, ob es funkelnde Küsse oder heimliche Gold- stücke sind -- -- wer kennt nicht diese wirren Phan- tasiespiele, über welche wir uns nicht im geringsten wundern? Glückliches Volk, das anstatt der unerbitt- lichen Konsequenz politischer Kritik oder wissenschaftlicher Forschung frei vom Satze des Widerspruchs sein heiteres Traumdasein genießt! Da staunt man nicht mehr über die entgegengesetzte Deutung gleicher Thatsachen aus demselben Munde, nicht über den Gesinnungswechsel eines Mannes, nicht über die positive Erklärung, daß schwarz weiß sei; still vergnügt nimmt man alles hin und thut doch, was man will. Denn die Menschen tragen keine Verantwortung. Sie träumen, und was sie träumen, verschwimmt mit dem Erwachen, nur die süße Erinnerung der Freiheit bleibt. Am Tage einige wache Stunden engumschriebenen Wirkens im streng geregelten Mecha- nismus des bürgerlichen Lebens, dann sinken sie beseligt wieder in die sanften Arme des Schlafgotts, um den lieblichen Reigen der Traumelfen zu teilen. So löst sich das zweite große Problem der Kultur, wie die in- Laßwitz, Seifenblasen. 10
Der Traumfabrikant. abgeriſſenem Anzuge die Straße fegen zu ſehen, dabeiaber auf den Schultern unſeres vorgeſetzten Kabinetts- chefs ſpazieren zu reiten; wir verſetzen ihm mit unſeren Füßen einige Rippenſtöße, worauf er eine Tabakspfeife aus der Taſche zieht, in welcher wir unſere treuloſe Geliebte erkennen; während wir dieſelbe in den Armen halten, bemerken wir, daß es unſere in Amerika verſtor- bene Erbtante iſt, die ſich in einen unendlichen Regen heller Sterne auflöſt, von denen wir nicht zu erkennen vermögen, ob es funkelnde Küſſe oder heimliche Gold- ſtücke ſind — — wer kennt nicht dieſe wirren Phan- taſieſpiele, über welche wir uns nicht im geringſten wundern? Glückliches Volk, das anſtatt der unerbitt- lichen Konſequenz politiſcher Kritik oder wiſſenſchaftlicher Forſchung frei vom Satze des Widerſpruchs ſein heiteres Traumdaſein genießt! Da ſtaunt man nicht mehr über die entgegengeſetzte Deutung gleicher Thatſachen aus demſelben Munde, nicht über den Geſinnungswechſel eines Mannes, nicht über die poſitive Erklärung, daß ſchwarz weiß ſei; ſtill vergnügt nimmt man alles hin und thut doch, was man will. Denn die Menſchen tragen keine Verantwortung. Sie träumen, und was ſie träumen, verſchwimmt mit dem Erwachen, nur die ſüße Erinnerung der Freiheit bleibt. Am Tage einige wache Stunden engumſchriebenen Wirkens im ſtreng geregelten Mecha- nismus des bürgerlichen Lebens, dann ſinken ſie beſeligt wieder in die ſanften Arme des Schlafgotts, um den lieblichen Reigen der Traumelfen zu teilen. So löſt ſich das zweite große Problem der Kultur, wie die in- Laßwitz, Seifenblaſen. 10
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Der Traumfabrikant.
abgeriſſenem Anzuge die Straße fegen zu ſehen, dabei
aber auf den Schultern unſeres vorgeſetzten Kabinetts-
chefs ſpazieren zu reiten; wir verſetzen ihm mit unſeren
Füßen einige Rippenſtöße, worauf er eine Tabakspfeife
aus der Taſche zieht, in welcher wir unſere treuloſe
Geliebte erkennen; während wir dieſelbe in den Armen
halten, bemerken wir, daß es unſere in Amerika verſtor-
bene Erbtante iſt, die ſich in einen unendlichen Regen
heller Sterne auflöſt, von denen wir nicht zu erkennen
vermögen, ob es funkelnde Küſſe oder heimliche Gold-
ſtücke ſind — — wer kennt nicht dieſe wirren Phan-
taſieſpiele, über welche wir uns nicht im geringſten
wundern? Glückliches Volk, das anſtatt der unerbitt-
lichen Konſequenz politiſcher Kritik oder wiſſenſchaftlicher
Forſchung frei vom Satze des Widerſpruchs ſein heiteres
Traumdaſein genießt! Da ſtaunt man nicht mehr über
die entgegengeſetzte Deutung gleicher Thatſachen aus
demſelben Munde, nicht über den Geſinnungswechſel eines
Mannes, nicht über die poſitive Erklärung, daß ſchwarz
weiß ſei; ſtill vergnügt nimmt man alles hin und thut
doch, was man will. Denn die Menſchen tragen keine
Verantwortung. Sie träumen, und was ſie träumen,
verſchwimmt mit dem Erwachen, nur die ſüße Erinnerung
der Freiheit bleibt. Am Tage einige wache Stunden
engumſchriebenen Wirkens im ſtreng geregelten Mecha-
nismus des bürgerlichen Lebens, dann ſinken ſie beſeligt
wieder in die ſanften Arme des Schlafgotts, um den
lieblichen Reigen der Traumelfen zu teilen. So löſt
ſich das zweite große Problem der Kultur, wie die in-
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