hauptsächlich damit, daß die beglückende Wirkung seines hervorragendsten Werkes schon jetzt in der schlafbringenden Eigenschaft desselben sich zeige.
Schlaf war das nationale Jdeal geworden. Alle staatserhaltenden Parteien waren einig, daß das Wohl des Vaterlandes geknüpft sei an die möglichst große Schlafmenge der Jndividuen. Man verglich die Länder nicht mehr nach ihrer Kornproduktion, ihrem Kohlen- reichtum, ihrer Jndustrie, ihrem Export, ihrem Kinder- segen, ihrer Wehrkraft, ihrer Steuermenge, berechnet für den Kopf der Bevölkerung, sondern lediglich nach der Zahl der verschlafenen und verträumten Stunden. Es zeigte sich zur Beruhigung aller Patrioten, daß Deutsch- land an der Spitze der Civilisation -- schlummerte, und man sah jetzt ein, daß der politische Traumzustand, den man den Deutschen ehemals zum Vorwurf gemacht hatte, nichts weiter gewesen war, als eine noch unver- standene Vorgeschrittenheit in der europäischen Kultur- entwickelung. Es gab nur noch einen kleinen und von jeher verachteten Rest von Antisomnisten, die den Schlaf für ein Übel hielten; die übrigen Parteien entzweiten sich bloß in der Frage, durch welche Mittel der Schlaf am besten befördert werde, und befehdeten sich hierbei allerdings mit maßloser Heftigkeit. Die "Wohlmeinen- den", wie sich die eine Partei genannt hatte, waren der Ansicht, daß die Schlafsucht des Volkes durch künst- liche narkotische Mittel möglichst zu steigern sei. Der Staat habe die Pflege des Volksideals mit Gewalt in die Hand zu nehmen, den Anbau und die Herstellung
Der Traumfabrikant.
hauptſächlich damit, daß die beglückende Wirkung ſeines hervorragendſten Werkes ſchon jetzt in der ſchlafbringenden Eigenſchaft desſelben ſich zeige.
Schlaf war das nationale Jdeal geworden. Alle ſtaatserhaltenden Parteien waren einig, daß das Wohl des Vaterlandes geknüpft ſei an die möglichſt große Schlafmenge der Jndividuen. Man verglich die Länder nicht mehr nach ihrer Kornproduktion, ihrem Kohlen- reichtum, ihrer Jnduſtrie, ihrem Export, ihrem Kinder- ſegen, ihrer Wehrkraft, ihrer Steuermenge, berechnet für den Kopf der Bevölkerung, ſondern lediglich nach der Zahl der verſchlafenen und verträumten Stunden. Es zeigte ſich zur Beruhigung aller Patrioten, daß Deutſch- land an der Spitze der Civiliſation — ſchlummerte, und man ſah jetzt ein, daß der politiſche Traumzuſtand, den man den Deutſchen ehemals zum Vorwurf gemacht hatte, nichts weiter geweſen war, als eine noch unver- ſtandene Vorgeſchrittenheit in der europäiſchen Kultur- entwickelung. Es gab nur noch einen kleinen und von jeher verachteten Reſt von Antiſomniſten, die den Schlaf für ein Übel hielten; die übrigen Parteien entzweiten ſich bloß in der Frage, durch welche Mittel der Schlaf am beſten befördert werde, und befehdeten ſich hierbei allerdings mit maßloſer Heftigkeit. Die „Wohlmeinen- den“, wie ſich die eine Partei genannt hatte, waren der Anſicht, daß die Schlafſucht des Volkes durch künſt- liche narkotiſche Mittel möglichſt zu ſteigern ſei. Der Staat habe die Pflege des Volksideals mit Gewalt in die Hand zu nehmen, den Anbau und die Herſtellung
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Der Traumfabrikant.
hauptſächlich damit, daß die beglückende Wirkung ſeines
hervorragendſten Werkes ſchon jetzt in der ſchlafbringenden
Eigenſchaft desſelben ſich zeige.
Schlaf war das nationale Jdeal geworden. Alle
ſtaatserhaltenden Parteien waren einig, daß das Wohl
des Vaterlandes geknüpft ſei an die möglichſt große
Schlafmenge der Jndividuen. Man verglich die Länder
nicht mehr nach ihrer Kornproduktion, ihrem Kohlen-
reichtum, ihrer Jnduſtrie, ihrem Export, ihrem Kinder-
ſegen, ihrer Wehrkraft, ihrer Steuermenge, berechnet für
den Kopf der Bevölkerung, ſondern lediglich nach der
Zahl der verſchlafenen und verträumten Stunden. Es
zeigte ſich zur Beruhigung aller Patrioten, daß Deutſch-
land an der Spitze der Civiliſation — ſchlummerte,
und man ſah jetzt ein, daß der politiſche Traumzuſtand,
den man den Deutſchen ehemals zum Vorwurf gemacht
hatte, nichts weiter geweſen war, als eine noch unver-
ſtandene Vorgeſchrittenheit in der europäiſchen Kultur-
entwickelung. Es gab nur noch einen kleinen und von
jeher verachteten Reſt von Antiſomniſten, die den Schlaf
für ein Übel hielten; die übrigen Parteien entzweiten
ſich bloß in der Frage, durch welche Mittel der Schlaf
am beſten befördert werde, und befehdeten ſich hierbei
allerdings mit maßloſer Heftigkeit. Die „Wohlmeinen-
den“, wie ſich die eine Partei genannt hatte, waren
der Anſicht, daß die Schlafſucht des Volkes durch künſt-
liche narkotiſche Mittel möglichſt zu ſteigern ſei. Der
Staat habe die Pflege des Volksideals mit Gewalt in
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Laßwitz, Kurd: Seifenblasen. Hamburg, 1890, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_seife_1890/147>, abgerufen am 22.07.2024.
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