treiben. Wenn irgendwo, so mußte hier zu entdecken sein, was Liebe ist, denn Lydia schien dies ja genau zu wissen.
Vergebens sah ich mich nach Nahrungsmitteln um. Mich hungerte und ich verließ wieder das Schränkchen. Weite Wanderungen legte ich unter Entbehrungen und Gefahren zurück, ich fühlte mich einsam und beklagte meinen Fürwitz. Schon nahte der Tag und ich mußte daran denken mich zu verbergen. Da -- ich atmete auf -- spürte ich die Nähe von Honig. Jch drang durch die Ritze eines Schrankes, ich fand einen großen Vorrat -- aber -- andere Ameisen waren bereits dabei! Sie stürzten auf mich zu -- ich war verloren oder wenigstens zum Sklaven gemacht! Jch wollte tapfer sterben und rüstete mich zum Kampfe. Den ersten packte ich mit den Zangen -- da berührten ihn meine Fühler, und -- ich erkannte Rlf! Es war unser eigener Stamm, unsre Expedition, die hier ihr Vorratslager hatte. Jm Triumphe führten sie mich in ihr Versteck unter den Dielen. Sie erzählten von ihren Entdeckungen, sie zeigten mir die große Anzahl übertasteter Keulenkäferchen, eine glänzende Bibliothek, aber vor allem hatte ich das Bedürfnis nach Nahrung und Ruhe. Beides wurde mir zuteil.
Jn der nächsten Nacht führte ich eine Abteilung unserer Expedition mit den nötigen Keulenkäferchen in Lydias Geheimfach, um die Akten der Liebe zu durch- stöbern und aufzunehmen. Wir begannen zu übersetzen und zu übertasten. Jn unserm Eifer bemerkten wir
Aus dem Tagebuche einer Ameiſe.
treiben. Wenn irgendwo, ſo mußte hier zu entdecken ſein, was Liebe iſt, denn Lydia ſchien dies ja genau zu wiſſen.
Vergebens ſah ich mich nach Nahrungsmitteln um. Mich hungerte und ich verließ wieder das Schränkchen. Weite Wanderungen legte ich unter Entbehrungen und Gefahren zurück, ich fühlte mich einſam und beklagte meinen Fürwitz. Schon nahte der Tag und ich mußte daran denken mich zu verbergen. Da — ich atmete auf — ſpürte ich die Nähe von Honig. Jch drang durch die Ritze eines Schrankes, ich fand einen großen Vorrat — aber — andere Ameiſen waren bereits dabei! Sie ſtürzten auf mich zu — ich war verloren oder wenigſtens zum Sklaven gemacht! Jch wollte tapfer ſterben und rüſtete mich zum Kampfe. Den erſten packte ich mit den Zangen — da berührten ihn meine Fühler, und — ich erkannte Rlf! Es war unſer eigener Stamm, unſre Expedition, die hier ihr Vorratslager hatte. Jm Triumphe führten ſie mich in ihr Verſteck unter den Dielen. Sie erzählten von ihren Entdeckungen, ſie zeigten mir die große Anzahl übertaſteter Keulenkäferchen, eine glänzende Bibliothek, aber vor allem hatte ich das Bedürfnis nach Nahrung und Ruhe. Beides wurde mir zuteil.
Jn der nächſten Nacht führte ich eine Abteilung unſerer Expedition mit den nötigen Keulenkäferchen in Lydias Geheimfach, um die Akten der Liebe zu durch- ſtöbern und aufzunehmen. Wir begannen zu überſetzen und zu übertaſten. Jn unſerm Eifer bemerkten wir
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0113"n="107"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Aus dem Tagebuche einer Ameiſe.</hi></fw><lb/>
treiben. Wenn irgendwo, ſo mußte hier zu entdecken<lb/>ſein, was Liebe iſt, denn Lydia ſchien dies ja genau<lb/>
zu wiſſen.</p><lb/><p>Vergebens ſah ich mich nach Nahrungsmitteln um.<lb/>
Mich hungerte und ich verließ wieder das Schränkchen.<lb/>
Weite Wanderungen legte ich unter Entbehrungen und<lb/>
Gefahren zurück, ich fühlte mich einſam und beklagte<lb/>
meinen Fürwitz. Schon nahte der Tag und ich mußte<lb/>
daran denken mich zu verbergen. Da — ich atmete<lb/>
auf —ſpürte ich die Nähe von Honig. Jch drang<lb/>
durch die Ritze eines Schrankes, ich fand einen großen<lb/>
Vorrat — aber — andere Ameiſen waren bereits dabei!<lb/>
Sie ſtürzten auf mich zu — ich war verloren oder<lb/>
wenigſtens zum Sklaven gemacht! Jch wollte tapfer<lb/>ſterben und rüſtete mich zum Kampfe. Den erſten packte<lb/>
ich mit den Zangen — da berührten ihn meine Fühler,<lb/>
und — ich erkannte Rlf! Es war unſer eigener Stamm,<lb/>
unſre Expedition, die hier ihr Vorratslager hatte. Jm<lb/>
Triumphe führten ſie mich in ihr Verſteck unter den<lb/>
Dielen. Sie erzählten von ihren Entdeckungen, ſie<lb/>
zeigten mir die große Anzahl übertaſteter Keulenkäferchen,<lb/>
eine glänzende Bibliothek, aber vor allem hatte ich das<lb/>
Bedürfnis nach Nahrung und Ruhe. Beides wurde<lb/>
mir zuteil.</p><lb/><p>Jn der nächſten Nacht führte ich eine Abteilung<lb/>
unſerer Expedition mit den nötigen Keulenkäferchen in<lb/>
Lydias Geheimfach, um die Akten der Liebe zu durch-<lb/>ſtöbern und aufzunehmen. Wir begannen zu überſetzen<lb/>
und zu übertaſten. Jn unſerm Eifer bemerkten wir<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[107/0113]
Aus dem Tagebuche einer Ameiſe.
treiben. Wenn irgendwo, ſo mußte hier zu entdecken
ſein, was Liebe iſt, denn Lydia ſchien dies ja genau
zu wiſſen.
Vergebens ſah ich mich nach Nahrungsmitteln um.
Mich hungerte und ich verließ wieder das Schränkchen.
Weite Wanderungen legte ich unter Entbehrungen und
Gefahren zurück, ich fühlte mich einſam und beklagte
meinen Fürwitz. Schon nahte der Tag und ich mußte
daran denken mich zu verbergen. Da — ich atmete
auf — ſpürte ich die Nähe von Honig. Jch drang
durch die Ritze eines Schrankes, ich fand einen großen
Vorrat — aber — andere Ameiſen waren bereits dabei!
Sie ſtürzten auf mich zu — ich war verloren oder
wenigſtens zum Sklaven gemacht! Jch wollte tapfer
ſterben und rüſtete mich zum Kampfe. Den erſten packte
ich mit den Zangen — da berührten ihn meine Fühler,
und — ich erkannte Rlf! Es war unſer eigener Stamm,
unſre Expedition, die hier ihr Vorratslager hatte. Jm
Triumphe führten ſie mich in ihr Verſteck unter den
Dielen. Sie erzählten von ihren Entdeckungen, ſie
zeigten mir die große Anzahl übertaſteter Keulenkäferchen,
eine glänzende Bibliothek, aber vor allem hatte ich das
Bedürfnis nach Nahrung und Ruhe. Beides wurde
mir zuteil.
Jn der nächſten Nacht führte ich eine Abteilung
unſerer Expedition mit den nötigen Keulenkäferchen in
Lydias Geheimfach, um die Akten der Liebe zu durch-
ſtöbern und aufzunehmen. Wir begannen zu überſetzen
und zu übertaſten. Jn unſerm Eifer bemerkten wir
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Laßwitz, Kurd: Seifenblasen. Hamburg, 1890, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_seife_1890/113>, abgerufen am 22.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.