Laßwitz, Kurd: Seifenblasen. Hamburg, 1890.Aus dem Tagebuche einer Ameise. [Spaltenumbruch]
Wenn ich dein gedenke, [Spaltenumbruch]
Wird die Welt mir fern, Meine Seele schwebet Über Raum und Stern. Wenn ich dich erblicke, Wird mir heiß zu Sinn, Unruhvolles Treiben Drängt nach dir mich hin. Wenn ich leise rühre Hand an deine Hand, Ach, in sel'ger Enge Haft' ich festgebannt. Du siehst mich leben, siehst mich ruhig wandeln Die ausgetretnen Gleise meiner Tage. Ja, ich kann lächeln, kann verständig handeln Und vorwärtsschreiten -- das ist keine Frage. Doch dir ins Ohr muß ich es anvertrauen: Jch bin's nicht mehr, nicht Jch, der sich gestaltet! Ein Schatten ist's, ich fühl's mit tiefem Grauen, Der seelenlos an meiner Stelle waltet. Die Seele floh, und dich hat sie erkoren, An deinen Augen hängt sie, deinem Munde! Gieb sie zurück! Doch nein, sie sei verloren -- Gieb deine Seele mir, daß ich gesunde! Jch weiß es nicht, wo die Geliebte weilt Und was sie schafft mit den geweihten Händen, Wer ihres Wandels holde Nähe teilt, Wem ihre Augen, ach, mein Glück verschwenden! Aus dem Tagebuche einer Ameiſe. [Spaltenumbruch]
Wenn ich dein gedenke, [Spaltenumbruch]
Wird die Welt mir fern, Meine Seele ſchwebet Über Raum und Stern. Wenn ich dich erblicke, Wird mir heiß zu Sinn, Unruhvolles Treiben Drängt nach dir mich hin. Wenn ich leiſe rühre Hand an deine Hand, Ach, in ſel’ger Enge Haft’ ich feſtgebannt. Du ſiehſt mich leben, ſiehſt mich ruhig wandeln Die ausgetretnen Gleiſe meiner Tage. Ja, ich kann lächeln, kann verſtändig handeln Und vorwärtsſchreiten — das iſt keine Frage. Doch dir ins Ohr muß ich es anvertrauen: Jch bin’s nicht mehr, nicht Jch, der ſich geſtaltet! Ein Schatten iſt’s, ich fühl’s mit tiefem Grauen, Der ſeelenlos an meiner Stelle waltet. Die Seele floh, und dich hat ſie erkoren, An deinen Augen hängt ſie, deinem Munde! Gieb ſie zurück! Doch nein, ſie ſei verloren — Gieb deine Seele mir, daß ich geſunde! Jch weiß es nicht, wo die Geliebte weilt Und was ſie ſchafft mit den geweihten Händen, Wer ihres Wandels holde Nähe teilt, Wem ihre Augen, ach, mein Glück verſchwenden! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb n="102" facs="#f0108"/> <fw type="header" place="top"> <hi rendition="#b">Aus dem Tagebuche einer Ameiſe.</hi> </fw><lb/> <lg type="poem"> <cb/> <lg n="1"> <l>Wenn ich dein gedenke,</l><lb/> <l>Wird die Welt mir fern,</l><lb/> <l>Meine Seele ſchwebet</l><lb/> <l>Über Raum und Stern.</l> </lg><lb/> <cb/> <lg n="2"> <l>Wenn ich dich erblicke,</l><lb/> <l>Wird mir heiß zu Sinn,</l><lb/> <l>Unruhvolles Treiben</l><lb/> <l>Drängt nach dir mich hin.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Wenn ich leiſe rühre</l><lb/> <l>Hand an deine Hand,</l><lb/> <l>Ach, in ſel’ger Enge</l><lb/> <l>Haft’ ich feſtgebannt.</l> </lg> </lg><lb/> <milestone unit="section" rendition="#hr"/><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Du ſiehſt mich leben, ſiehſt mich ruhig wandeln</l><lb/> <l>Die ausgetretnen Gleiſe meiner Tage.</l><lb/> <l>Ja, ich kann lächeln, kann verſtändig handeln</l><lb/> <l>Und vorwärtsſchreiten — das iſt keine Frage.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Doch dir ins Ohr muß ich es anvertrauen:</l><lb/> <l>Jch bin’s nicht mehr, nicht Jch, der ſich geſtaltet!</l><lb/> <l>Ein Schatten iſt’s, ich fühl’s mit tiefem Grauen,</l><lb/> <l>Der ſeelenlos an meiner Stelle waltet.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Die Seele floh, und dich hat ſie erkoren,</l><lb/> <l>An deinen Augen hängt ſie, deinem Munde!</l><lb/> <l>Gieb ſie zurück! Doch nein, ſie ſei verloren —</l><lb/> <l>Gieb <hi rendition="#g">deine</hi> Seele mir, daß ich geſunde!</l> </lg> </lg><lb/> <milestone unit="section" rendition="#hr"/><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Jch weiß es nicht, wo die Geliebte weilt</l><lb/> <l>Und was ſie ſchafft mit den geweihten Händen,</l><lb/> <l>Wer ihres Wandels holde Nähe teilt,</l><lb/> <l>Wem ihre Augen, ach, mein Glück verſchwenden!</l> </lg><lb/> </lg> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [102/0108]
Aus dem Tagebuche einer Ameiſe.
Wenn ich dein gedenke,
Wird die Welt mir fern,
Meine Seele ſchwebet
Über Raum und Stern.
Wenn ich dich erblicke,
Wird mir heiß zu Sinn,
Unruhvolles Treiben
Drängt nach dir mich hin.
Wenn ich leiſe rühre
Hand an deine Hand,
Ach, in ſel’ger Enge
Haft’ ich feſtgebannt.
Du ſiehſt mich leben, ſiehſt mich ruhig wandeln
Die ausgetretnen Gleiſe meiner Tage.
Ja, ich kann lächeln, kann verſtändig handeln
Und vorwärtsſchreiten — das iſt keine Frage.
Doch dir ins Ohr muß ich es anvertrauen:
Jch bin’s nicht mehr, nicht Jch, der ſich geſtaltet!
Ein Schatten iſt’s, ich fühl’s mit tiefem Grauen,
Der ſeelenlos an meiner Stelle waltet.
Die Seele floh, und dich hat ſie erkoren,
An deinen Augen hängt ſie, deinem Munde!
Gieb ſie zurück! Doch nein, ſie ſei verloren —
Gieb deine Seele mir, daß ich geſunde!
Jch weiß es nicht, wo die Geliebte weilt
Und was ſie ſchafft mit den geweihten Händen,
Wer ihres Wandels holde Nähe teilt,
Wem ihre Augen, ach, mein Glück verſchwenden!
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Zitationshilfe: | Laßwitz, Kurd: Seifenblasen. Hamburg, 1890, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_seife_1890/108>, abgerufen am 03.03.2025. |