Wie ich tief sie hege im Gemüte, Sproßt daraus des Liedes zarte Blüte.
Und von ihrer Nähe Licht getroffen Wagt es sich hervor zu frohem Hoffen.
Eine Herrin hab' ich mir erkoren, Lieb' und Lieder sind ihr zugeschworen!
Es ist gewiß merkwürdig, daß ein so rohes Tier wie der Mensch überhaupt derartige Kunstleistungen zustande bringt. Aber einen Sinn kann man freilich nicht darin finden. Erstens ist es schon Unsinn, daß ein Führer -- und ein solcher muß doch der Mensch sein, denn gewöhn- liche Männchen und Arbeiter können nicht Verse machen -- daß ein Führer von einem Weibchen sich etwas be- fehlen lassen sollte. Und dann, was ist überhaupt Liebe? Ein Wort, mit dem die Menschen gern umherwerfen, aber ich glaube nicht, daß sie sich selbst dabei etwas denken. Wir wenigstens verstehen es nicht. Man sorgt für Puppen und Larven und für das Wohl des Staates, aber das ist doch alles selbstverständlich -- -- und Liebe? Das muß wohl einer von den menschlichen Jn- stinkten sein, über die wir, dank unserer Ameisenwürde, erhaben sind.
Flügelsonne 25.
Jn der Beherrschung der Sprache und Schrift der Menschen habe ich gute Fortschritte gemacht. Jch ver- säumte keine Gelegenheit, den Menschen zu studieren, der sich oft in unserer Nähe einfindet.
Aus dem Tagebuche einer Ameiſe.
Wie ich tief ſie hege im Gemüte, Sproßt daraus des Liedes zarte Blüte.
Und von ihrer Nähe Licht getroffen Wagt es ſich hervor zu frohem Hoffen.
Eine Herrin hab’ ich mir erkoren, Lieb’ und Lieder ſind ihr zugeſchworen!
Es iſt gewiß merkwürdig, daß ein ſo rohes Tier wie der Menſch überhaupt derartige Kunſtleiſtungen zuſtande bringt. Aber einen Sinn kann man freilich nicht darin finden. Erſtens iſt es ſchon Unſinn, daß ein Führer — und ein ſolcher muß doch der Menſch ſein, denn gewöhn- liche Männchen und Arbeiter können nicht Verſe machen — daß ein Führer von einem Weibchen ſich etwas be- fehlen laſſen ſollte. Und dann, was iſt überhaupt Liebe? Ein Wort, mit dem die Menſchen gern umherwerfen, aber ich glaube nicht, daß ſie ſich ſelbſt dabei etwas denken. Wir wenigſtens verſtehen es nicht. Man ſorgt für Puppen und Larven und für das Wohl des Staates, aber das iſt doch alles ſelbſtverſtändlich — — und Liebe? Das muß wohl einer von den menſchlichen Jn- ſtinkten ſein, über die wir, dank unſerer Ameiſenwürde, erhaben ſind.
Flügelſonne 25.
Jn der Beherrſchung der Sprache und Schrift der Menſchen habe ich gute Fortſchritte gemacht. Jch ver- ſäumte keine Gelegenheit, den Menſchen zu ſtudieren, der ſich oft in unſerer Nähe einfindet.
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Aus dem Tagebuche einer Ameiſe.
Wie ich tief ſie hege im Gemüte,
Sproßt daraus des Liedes zarte Blüte.
Und von ihrer Nähe Licht getroffen
Wagt es ſich hervor zu frohem Hoffen.
Eine Herrin hab’ ich mir erkoren,
Lieb’ und Lieder ſind ihr zugeſchworen!
Es iſt gewiß merkwürdig, daß ein ſo rohes Tier wie
der Menſch überhaupt derartige Kunſtleiſtungen zuſtande
bringt. Aber einen Sinn kann man freilich nicht darin
finden. Erſtens iſt es ſchon Unſinn, daß ein Führer —
und ein ſolcher muß doch der Menſch ſein, denn gewöhn-
liche Männchen und Arbeiter können nicht Verſe machen
— daß ein Führer von einem Weibchen ſich etwas be-
fehlen laſſen ſollte. Und dann, was iſt überhaupt Liebe?
Ein Wort, mit dem die Menſchen gern umherwerfen,
aber ich glaube nicht, daß ſie ſich ſelbſt dabei etwas
denken. Wir wenigſtens verſtehen es nicht. Man ſorgt
für Puppen und Larven und für das Wohl des Staates,
aber das iſt doch alles ſelbſtverſtändlich — — und
Liebe? Das muß wohl einer von den menſchlichen Jn-
ſtinkten ſein, über die wir, dank unſerer Ameiſenwürde,
erhaben ſind.
Flügelſonne 25.
Jn der Beherrſchung der Sprache und Schrift der
Menſchen habe ich gute Fortſchritte gemacht. Jch ver-
ſäumte keine Gelegenheit, den Menſchen zu ſtudieren, der
ſich oft in unſerer Nähe einfindet.
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Laßwitz, Kurd: Seifenblasen. Hamburg, 1890, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_seife_1890/101>, abgerufen am 22.07.2024.
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